Leitsatz (amtlich)
Der Senat hält daran fest, dass der wartepflichtige Fahrzeugführer der Ankündigung einer angezeigten Fahrtrichtungsänderung des Vorfahrtsberechtigten erst und nur dann vertrauen darf, wenn der Vorfahrtsberechtigte auch durch eindeutige Geschwindigkeitsherabsetzung und Beginn des Abbiegens die verlässliche Annahme begründet, dass eine Berührung der beiderseitigen Fahrlinien nicht in Betracht kommt, wenn der Wartepflichtige die ursprüngliche und nunmehr hypothetische Fahrlinie des Vorfahrtberechtigten kreuzt.
Normenkette
StVO § 1 Abs. 2, § 8 Abs. 1; StVG § 17 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
LG Dortmund (Aktenzeichen 21 O 257/01) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird – unter Zurückweisung des weiter gehenden Rechtsmittels – das am 11.4.2002 verkündete Urteil der 21. Zivilkammer des LG Dortmund insoweit abgeändert, als die Beklagten verurteilt worden sind, als Gesamtschuldner an den Kläger mehr als 2.060,47 Euro nebst Zinsen i.H.v. 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz ab dem 30.5.2001 zu zahlen.
Die weiter gehende Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des ersten Rechtszuges werden den Beklagten zu 1/3 und dem Kläger zu 2/3 auferlegt. Die Kosten des Berufungsverfahrens belasten die Beklagten mit 9/20 und den Kläger mit 11/20.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Am … gegen … Uhr befuhr der Beklagte zu 1) mit seinem Pkw mit Anhänger die L.-Straße in D. und betätigte den rechten Fahrtrichtungsanzeiger, da er nach rechts in die untergeordnete R.-Straße einbiegen wollte. Bei der Annäherung an diese Einmündung änderte er seinen Entschluss und entschied sich, geradeaus weiterzufahren. Dabei stieß er in der Einmündung mit dem von rechts kommenden Pkw VW Golf des Klägers zusammen, der zunächst vor dem STOP-Schild der untergeordneten R.-Straße gewartet hatte und dann – auf das Blinklicht des Beklagten zu 1) hin – nach links in die L.-Straße eingefahren war. Die Parteien streiten darüber, wie deutlich die Anzeichen für ein Abbiegen des Beklagten zu 1) gewesen waren und wie lange sie angedauert hatten. Das LG hat der auf vollen Ersatz seines Schadens gerichteten Klage des Klägers nach einer Haftungsquote von 3/4 stattgegeben und sie i.Ü. abgewiesen. Wegen der tatsächlichen Grundlagen im Einzelnen wird auf die Feststellungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen. Mit der Berufung verfolgen die Beklagten ihren Klageabweisungsantrag weiter. Der Senat hat nach Einholung eines unfallanalytischen Sachverständigengutachtens ergänzend festgestellt, dass der Beklagte zu 1) sich mit seinem Pkw vor der Kollision nicht äußerst rechts eingeordnet hatte.
II. Die zulässige Berufung ist überwiegend begründet. Die Beklagten haften dem Kläger für seinen bei dem Unfall vom … entstandenen Schaden gem. §§ 7 Abs. 1 StVG, 3 Nr. 1 PflVG nach einer Quote von 1/3. Danach steht dem Kläger ein Schadenersatzanspruch i.H.v. 2.060,47 Euro zu.
1. Der Unfall ist durch verkehrswidriges Verhalten beider beteiligter Fahrzeugführer verursacht worden. Dabei ergibt die Abwägung der Verursachungsanteile ein deutlich höheres Gewicht des klägerischen Beitrages.
a) Zutreffend hat das LG einen Fahrfehler des Beklagten zu 1) darin gesehen, dass dieser nicht anhaltebereit und auch sonst nicht mit äußerster Vorsicht an die Einmündung herangefahren ist, nachdem er zunächst durch das Einschalten des rechten Blinkers den Anschein erweckt hatte, er wolle vor dem Kläger-Fahrzeug rechts abbiegen. Dieses Verhalten beseitigte zwar das Vorfahrtrecht des Beklagten zu 1) nicht (vgl. etwa BGH DAR 1966, 25), stellte jedoch einen Verstoß gegen das allgemeine Gefährdungsverbot nach § 1 Abs. 2 StVO dar.
Fährt der Vorfahrtberechtigte an der Einmündung einer untergeordneten Straße geradeaus vorbei, obwohl er zuvor bei der Annäherung an die Einmündung den rechten Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt hatte, hat er eine den wartepflichtigen Verkehr gefährdende Unklarheit geschaffen und ist gem. § 1 Abs. 2 StVO verpflichtet, diese Gefahrenlage durch eigenes besonders vorsichtiges Verhalten, insb. genaue Beobachtung der Reaktion der betroffenen anderen Verkehrsteilnehmer und, falls möglich, Herstellung einer Verständigung mit diesen, wieder zu beseitigen. Gelingt ihm dies nicht und ist mit einer Kollision zu rechnen, muss er anhaltebereit sein und sein Fahrzeug erforderlichenfalls vor der Kreuzung der Fahrlinien zum Stehen bringen. Dies gilt nicht nur dann, wenn der rechte Blinker noch unmittelbar vor der Einmündung eingeschaltet war, sondern auch in den Fällen, in denen der Vorfahrtberechtigte das irreführende Abbiegesignal bereits in einiger Entfernung davor wieder abgeschaltet hatte, sofern dieses Signal von den an der Einmündung oder in deren Nähe befindlichen Wartepflichtigen als Zeichen für eine Abbiegeabsicht verstanden werden durfte.
So liegt der Fall hier. Denn der Beklagte zu 1) hatte seinen rechten Blinker unstreitig gesetzt, um vor dem Kläger nach rechts in die R.-Straße abzubiegen. Damit ist der zur Begründung der besonderen Sorgfaltspflicht des Beklagten zu 1) erfor...