Leitsatz (amtlich)
1. Ist eine Feststellungsklage zulässig erhoben worden, braucht der Kläger auch dann nicht zur Leistungsklage überzugehen, wenn im Laufe des Rechtsstreits der gesamte Schaden bezifferbar wird.
2. Die Gefährdungshaftung eines Kraftfahrzeugs ist nicht auf Unfälle im öffentlichen Straßenverkehr beschränkt, sondern besteht bei allen mit seinem Betrieb oder seinen Betriebseinrichtungen zusammenhängenden Unfällen, sofern der erforderliche örtliche und zeitliche Kausalzusammenhang mit dem Betrieb des Kraftfahrzeugs oder dem Versagen seiner Betriebseinrichtungen besteht.
3.Auch im Baustellenverkehr gelten die beim Rückwärtsfahren zu beachtenden höchsten Sorgfaltspflichten. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob man diese unmittelbar aus § 9 Abs. 5 StVO oder § 1 Abs. 2 StVO herleitet.
4. Das Haftungsprivileg des § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII kommt nur dem versicherten Unternehmer zu Gute, der selbst auf einer gemeinsamen Betriebsstätte eine vorübergehende betriebliche Tätigkeit verrichtet und dabei den Versicherten eines anderen Unternehmens verletzt.
5. Dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung nach § 286 ZPO zufolge unterliegt das Gericht, außer im Falle gesetzlicher Vermutungen und Beweisregeln, bei seiner Beweiswürdigung keiner Bindung. Vielmehr beurteilt es frei den Gang der Verhandlung und den Wert der einzelnen Beweismittel, legt Zeugenaussagen aus, folgert von bestrittenen auf unbestrittene Behauptungen, zieht Schlüsse aus Indizien, darf fehlende konkrete Indizien mit Hilfe der allgemeinen Lebenserfahrung überbrücken.
Normenkette
SGB VII § 106 Abs. 3 Alt. 3; StVG § 1 Abs. 2, §§ 7, 9 Abs. 5; ZPO §§ 256, 286
Verfahrensgang
LG Dortmund (Aktenzeichen 21 O 301/16) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 07.03.2018 verkündete Urteil des Einzelrichters der 21. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund wird zurückgewiesen.
Die Beklagten tragen die Kosten des Berufungsverfahrens.
Dieses und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagten dürfen die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I. Der Kläger begehrt die Feststellung der Eintrittspflicht der Beklagten für die ihm anlässlich eines Unfalls vom ....11.2005 entstandenen und zukünftig noch entstehenden materiellen und immateriellen Schäden. Die Beklagte zu 2 war von dem Bauherrn T mit der Erweiterung des auf dem Gelände der Fa. N in E, X-Straße ... gelegenen T4 Centers beauftragt. Die Beklagte zu 2 ihrerseits beauftragte den Kläger als selbstständigen Subunternehmer mit dem Transport von Sandwich-Elementen mittels eines angemieteten Krans auf die jeweils oberste Plattform der Halle, wo diese von Angestellten des Klägers und Arbeitnehmern anderer Firmen entgegengenommen, und bis zum späteren Einbau zwischengelagert wurden.
Der Kläger übernahm am Morgen des ....11.2005 entsprechend den vertraglichen Vereinbarungen die Bedienung des Krans von dem Beklagten zu 1, einem Mitarbeiter der Beklagten zu 2. Fortan bediente der Kläger mittels mobiler Fernsteuerung den unmittelbar vor der Halle stehenden Kran. Gegen 10:30 h versetzte der Beklagte zu 1 - ohne den Kläger zuvor hierüber zu informieren - einen bei der Beklagten zu 3 gegen Haftpflicht versicherten N Sprinter, dessen Halterin die Beklagte zu 2 ist, von dessen bisherigen Abstellort rückwärtsfahrend in Richtung auf den Standort des Krans und den des Klägers zu. Hierbei orientierte sich der Beklagte zu 1 nach eigenen Angaben anhand des rechten Außenspiegels, in dem er den Kläger gesehen habe. Nachdem der Kläger aus seinem Blickfeld verschwunden sei, habe er sein Kraftfahrzeug angehalten. Er habe nach dem Aussteigen den Kläger hinter dem Fahrzeug in Längsrichtung bewusstlos liegend vorgefunden. Der Kläger erlitt u.a. lebensgefährliche Kopfverletzungen, die ein mehrwöchiges Koma, die zeitweise Anordnung der Betreuung, mehrere Operationen sowie stationäre Klinikaufenthalte und Anschlussheilbehandlungen zur Folge hatten. Seit dem Unfalltag ist der Kläger aus dem Berufsleben ausgeschieden.
Ansprüche des Klägers gegenüber der Berufsgenossenschaft wies diese durch gegenüber dem Kläger bestandskräftig gewordenen Bescheid vom 14.11.2005 mit der Begründung zurück, dem Kläger stünden keine Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu, weil dieser sich nicht freiwillig versichert habe, was aber Voraussetzung für die Inanspruchnahme der gesetzlichen Unfallversicherung sei. Die Beklagte zu 3 begehrte in einem vor dem Sozialgericht im Jahre 2010 geführten Verfahren, in dem die Beklagte zu 2 Beigeladene war, die Feststellung, dass es sich bei dem Unfall vom ... .11.2005 um einen Arbeitsunfall handele, weil der Kläger als Arbeitnehmer der Beklagten zu 2 tätig geworden sei. Tatsächlich habe sich der Unfall als Sturz von einem Baugerüst ereignet, der nachträglich zu einem Kra...