Leitsatz (amtlich)

›1. Die verletzte Beifahrerin kann den Fahrer auf Ersatz ihrer immateriellen Schäden in Anspruch nehmen, wenn dieser bei dem Versuch, einem Kleintier (Hase, Katze oder Hund) auszuweichen, ins Schleudern gerät und von der Fahrbahn abkommt. Das gilt auch dann, wenn der Fahrer Fahranfänger ist und der Unfall auf einer Gefälligkeitsfahrt passiert.

2. Bei der Schmerzensgeldbemessung sind auch unfallbedingte psychische Beeinträchtigungen (hier: infolge des Todes der besten Freundin) zu berücksichtigen, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob diese neben den körperlichen Verletzungen selbständig Krankheitswert erreicht haben.‹

 

Verfahrensgang

LG Bielefeld (Entscheidung vom 01.07.1997; Aktenzeichen 8 U 2656/96)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 01. Juli 1997 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld abgeändert.

Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an die Klägerin 20.000,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 29. Dezember 1995 zu zahlen.

Es wird festgestellt, daß die Beklagten verpflichtet sind, als Gesamtschuldner der Klägerin jeden weiteren immateriellen Schaden aus dem Unfallereignis vom 01. Mai 1993 zu ersetzen.

Die Kosten der ersten Instanz tragen die Klägerin zu 1/3, die Beklagten zu 2/3.

Die Kosten der zweiten Instanz tragen die Klägerin zu 3/10 und die Beklagten zu 7/10.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beschwer der Beklagten: unter 30.000,00 DM.

 

Gründe

I.

Die am 22.04.1975 geborene Klägerin verlangt Ersatz ihrer immateriellen Schäden aus einem Unfall vom 01.05.93, 21.40 Uhr auf der B ..., außerorts ..., als der Beklagte zu 1) als Fahrer eines VW einem von rechts nach links kreuzenden Kleintier in der Größe eines Hasen/Katze/Hund nach links ausweichen wollte, dabei ins Schleudern geriet und schließlich rechts der Fahrbahn gegen einen Baum prallte. Die hinten rechts im Fahrzeug sitzende Klägerin wurde dabei erheblich verletzt: Sie erlitt eine Jochbein- und Orbitabodenfraktur links, die am 14.12.1993 operiert wurde. Ferner erlitt sie Prellungen und Quetschungen des rechten Armes mit länger anhaltender Funktionsstörung.

Bei dem Unfall wurde die beste Freundin der Klägerin, die hinten links im Fahrzeug neben ihr saß, tödlich verletzt.

Das Landgericht hat die auf Zahlung eines weitergehenden Schmerzensgeldes in Höhe von mindestens 30.000,00 DM - vorprozessual hatte die Beklagte zu 2) bereits 2.500,00 DM gezahlt - nach Vernehmung von Zeugen und Einholung eines mündlichen Sachverständigengutachtens mangels Verschulden der Beklagten abgewiesen. Zur näheren Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, die vom Sachverständigen festgestellte Geschwindigkeit zwischen 80 und 90 km/h sei nicht zu schnell; das Ausweichmanöver gegenüber dem Kleintier sei naheliegend und nicht vorwerfbar.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, die erneut ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 30.000,00 DM und erstmals auch die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für sämtliche weitergehenden immateriellen Schäden begehrt.

Mit näheren Ausführungen hält die Klägerin die Fahrweise des Beklagten zu 1), insbesondere auch sein Ausweichmanöver für fehlerhaft.

Die Beklagten verteidigen das Urteil, berufen sich zum Ausweichmanöver vor dem Tier auf einen nicht steuerbaren und deshalb schuldlosen Reflex, ferner auf einen konkludenten Haftungsausschluß wegen einer "Gefälligkeitsfahrt" und schließlich - zum erstmals erhobenen Feststellungsantrag - auf Verjährung. Im übrigen bestreiten sie, daß noch heute Schadensfolgen vorliegen.

Der Senat hat die Klägerin und den Beklagten zu 1) angehört.

II.

Die zulässige Berufung der Klägerin hat im wesentlichen Erfolg.

Die Beklagten sind gemäß den §§ 823, 847 BGB, 3 PflichtVG zur Zahlung eines Schmerzensgeldes im erkannten Umfang verpflichtet, da der Beklagte zu 1) den Unfall und deshalb die Verletzungen der Klägerin schuldhaft verursacht hat. Ein stillschweigender Haftungsausschluß kommt nicht in Betracht. Die Ansprüche, die Gegenstand des Feststellungsantrages sind, sind nicht verjährt.

Der Beklagte zu 1) hat den Unfall schuldhaft verursacht.

Mit Urteil vom 18.12.96 hat der BGH das Ausweichmanöver vor einem Hasen aus Gründen des Tierschutzes gelobt, gleichwohl aber Ersatz von Kasko-Rettungskosten wegen grober Fahrlässigkeit des Fahrers versagt (VersR 97/351 f. = r+s 97/98).

Zur näheren Begründung hat der BGH ausgeführt, daß ein Fahrer, der mit 90 km/h einem Hasen ausweiche, seine Sorgfaltspflicht in ungewöhnlich hohem Maße verletze. Eine schreckbedingte Fehlreaktion entlaste dabei nicht. Von einem Kraftfahrer müsse verlangt werden, daß er auch dann, wenn ein Hase auf der Fahrbahn auftauche, noch eine hinreichende Konzentration aufbringe, um darauf sachgerecht zu reagieren (so auch OLG Hamm in r+s 98/53 f.; Knappmann in VersR 89/113 ff. für den Kaskobereich; anders dagegen bei einem Ausweichmanöver gegenüber zwei Rehen, die zunächst verdeckt hinter Straßenbäumen am Fahrbahnrand standen: Hamm NZV 96/410 f.).

Stichhaltige Gründe, diese für den ...

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