Leitsatz (amtlich)
›Grobe Fahrlässigkeit, wenn der Versicherungsnehmer wegen eines kurz zuvor durchgeführten Überholvorgangs in einer Kurve die Gewalt über sein Fahrzeug verliert.‹
Gründe
Der Kläger macht Ansprüche aus einer bei der Beklagten abgeschlossenen Fahrzeugversicherung wegen eines Verkehrsunfalls vom 02.08.1995 geltend. Die Beklagte hält sich wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls nach § 61 VVG für leistungsfrei. Dem ist das Landgericht in dem angefochtenen Urteil gefolgt.
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Landgericht hat zu Recht die Einstandspflicht der Beklagten verneint.
Der Senat geht bei seiner Entscheidung von nachfolgendem Sachverhalt aus: Der Kläger überholte mit dem versicherten BMW den Zeugen HW kurz vor einer Rechtskurve. Er scherte knapp vor dem Zeugen wieder auf die für ihn rechte Fahrbahn ein. Diese erreichte er innerhalb oder kurz vor dem Beginn der Rechtskurve. Wegen der infolge des Überholvorgangs für die Kurve überhöhten Geschwindigkeit und/oder wegen des abrupten Einscherens nach rechts auf die für ihn rechte Fahrbahnseite verlor der Kläger die Gewalt über sein Fahrzeug und geriet ausgangs der Kurve oder unmittelbar nach der Kurve auf die für ihn linke Fahrbahnseite. Dort stieß er mit dem Gegenverkehr zusammen.
Dieser so geschilderte Unfallhergang war nach der Erörterung im Senatstermin nicht mehr streitig. Zumindest folgt er aus der erstinstanzlichen Beweisaufnahme und dem Inhalt der beigezogenen Strafakten.
Grob fahrlässig handelt, wer die im Straßenverkehr erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und unbeachtet gelassen hat, was im konkreten Fall jedem hätte einleuchten müssen (BGH VersR 1989, 1394; 1992, 1087). Neben einer objektiv grob verkehrswidrigen Fahrweise muß danach auch subjektiv eine gesteigerte persönliche Vorwerfbarkeit festgestellt werden. Dabei kann von einem objektiv groben Fehlverhalten auf eine gesteigerte subjektive Vorwerfbarkeit rückgeschlossen werden (BGH VersR 1989, 582; 1992, 1085; OLG Oldenburg VVGE § 61 Nr. 26 = VersR 1997, 611). Nach diesen allgemeinen Grundsätzen ist bei dem festgestellten Sachverhalt eine grob fahrlässige Herbeiführung des Unfalls anzunehmen.
Daß der Kläger sich objektiv grob fahrlässig verhielt, ist offensichtlich. Er befand sich trotz Gegenverkehrs auf der für ihn linken Fahrbahnseite.
Ihn entlastende Umstände kann der Senat nicht feststellen. Er schließt daher aus der feststehenden objektiven groben Verkehrswidrigkeit auch auf ein gesteigertes persönliches Verschulden.
Ausgang und Ursprung des Unfalls war der vorangehende Überholvorgang, der nicht so durchgeführt und abgeschlossen werden konnte, daß der Kläger mit für die Straßenverhältnisse angemessene Geschwindigkeit und hinreichender Sicherheit in die Rechtskurve einfahren konnte. Er hätte den Überholvorgang entweder nicht einleiten oder rechtzeitig vor der Kurve abbrechen müssen. Daß dies auch ohne weiteres für ihn zu erkennen war, folgt aus der signifikanten Aussage des Zeugen H M dem nach seiner Angabe der Gedanke durch den Kopf schoß, "das kann doch nicht wahr sein", als er den Kläger bei dem Überholvorgang vor der Rechtskurve neben sich bemerkte.
Die Einlassung des Klägers, er habe sich bei dem Überholen (hinsichtlich der erforderlichen Überholstrecke oder der Geschwindigkeit des vor ihm fahrenden Kraftfahrzeugs) verschätzt, dürfte zutreffen. Sie kann ihn aber nicht entlasten. Überholmanöver - erst recht kurz vor einer Kurve - gehören mit zu den gefahrträchtigsten Fahrmanövern. Sie verlangen gesteigerte Aufmerksamkeit und Sorgfalt. Deshalb schließt ein kurzes Versehen oder Verschätzen den Vorwurf grober Fahrlässigkeit nicht aus. Daß der Zeuge H M seine Geschwindigkeit erhöhte und dadurch den Überholvorgang für den Kläger unerwartet verlängerte, ist auszuschließen. Dafür spricht schon wegen der folgenden Rechtskurve wenig. Das folgt vor allem aus der glaubhaften Aussage der durchaus glaubwürdigen Zeugen.
Der spätere Unfall beruht dann letztlich auf der wegen des grob verkehrswidrigen Überholvorgangs für die Rechtskurve überhöhten Geschwindigkeit. Er war die zu erwartende Folge des vorangegangenen Fehlverhaltens.
Die Kostenentscheidung und die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruhen auf §§ 97, 708 Nr. 10 ZPO.
Der Wert der Beschwer beträgt 21.892,06 DM.
Fundstellen
Haufe-Index 2993985 |
NJW-RR 1998, 1555 |
DAR 1998, 393 |
OLGR Hamm 1998, 280 |
ZfS 1999, 428 |
OLGReport-Hamm 1998, 280 |
SP 1998, 432 |