Leitsatz (amtlich)

1. Über den Grund einer Leistungsklage auf Ersatz von Verdienstausfall kann neben einer Schmerzensgeldklage nicht durch Grund- und Teilurteil im Sinne des § 301 Abs. 1 Satz 2, § 304 ZPO entschieden werden, wenn die insoweit erhobene Leistungsklage derzeit unbegründet ist, weil der Kläger im Hinblick auf einen Anspruchsübergang nach § 116 SGB X nicht aktivlegitimiert ist (in Fortschreibung zu BGH Urt. v. 2.12.2008 - VI ZR 312/07, r+s 2009, 128).

2. Zulässig ist insoweit aber im Einzelfall - wie hier - eine Feststellungsklage im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO hinsichtlich der Ersatzpflicht bezüglich des Verdienstausfalls (in Fortschreibung zu BGH Urt. v. 2.12.2008 - VI ZR 312/07, r+s 2009, 128).

3. Diese Feststellungsklage kann auch, ohne dass Anschlussberufung eingelegt worden wäre, erstmals in zweiter Instanz erhoben werden, da es sich insoweit im Hinblick auf § 264 Nr. 2 ZPO um eine privilegierte Klageänderung durch qualitative Beschränkung des Klageantrages ohne Änderung des Klagegrundes handelt, die nicht an § 533 ZPO, sondern an § 529 ZPO zu messen ist (im Anschluss an BAG Urt. v. 5.6.2019 - 10 AZR 100/18 (F), BAGE 167, 36 Rn. 14 f.; BGH Urt. v. 19.3.2004 - V ZR 104/03, BGHZ 158, 295 = juris Rn. 26 ff.; BGH Urt. v. 22.4.2010 - IX ZR 160/09, NJW-RR 2010, 1286 Rn. 6, 9, 12; BGH Urt. v. 1.6.2017 - VII ZR 277/15, NJW 2017, 3521 Rn. 30; siehe auch nachfolgend BGH Urt. v. 15.12.2022 - I ZR 135/21, Rn. 40 f., 47).

4. Ein Zivilverfahren ist nicht wegen §§ 116, 118 SGB X gemäß § 148 Abs. 1 ZPO auszusetzen, wenn das sozialrechtliche Verfahren im Hinblick auf die unterschiedlichen Kausalitätsmaßstäbe im Zivil- und Sozialrecht nicht vorgreiflich ist und Fragen zur Art und Höhe der Sozialleistungen durch ein reines Feststellungsurteil gerade nicht vorgriffen wird.

5. Zum Nachweis der haftungsbegründenden Kausalität zwischen Fahrradsturz und Schultereckgelenksverletzung.

6. Der haftungsausfüllende Zurechnungszusammenhang zwischen Unfallereignis sowie Primärschaden einerseits und Sekundärschäden andererseits wird nicht allein durch einen groben Behandlungsfehler des behandelnden Zweitschädigers ausgeschlossen. Es bedarf vielmehr - hier verneint - eines vom Erstschädiger zu beweisenden besonderes groben Behandlungsfehlers (in Fortschreibung zu BGH Urt. v. 26.3.2019 - VI ZR 236/18, r+s 2019, 410 Rn. 12; BGH Beschl. v. 14.11.2017 - VI ZR 92/17, r+s 2018, 104 Rn. 24; BGH Urt. v. 23.1.2020 - III ZR 28/19, NJW-RR 2020, 626 Rn. 10; BGH Urt. v. 22.5.2012 - VI ZR 157/11, r+s 2012, 409 Rn. 15).

 

Normenkette

SGB X §§ 116, 118; ZPO §§ 148, 256, 301, 304

 

Verfahrensgang

LG Detmold (Aktenzeichen 4 O 26/19)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 24.01.2022 verkündete Grund- und Teilurteil des Einzelrichters der 4. Zivilkammer des Landgerichts Detmold, Az. 4 O 26/19, abgeändert und als einheitliches (End-)Urteil wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 12.500,00 EUR als Schmerzensgeld zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger den Netto-Verdienstentgang zu ersetzen, der ihm daraus entstanden ist, dass er unfallbedingt eine Beschäftigung bei der Firma A GmbH, Bstraße 00, C nicht zum 01.04.2017, sondern erst zum 15.02.2018 aufnehmen konnte, soweit dem kein Anspruchsübergang auf die Berufsgenossenschaft (..) entgegensteht.

Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger sämtlichen weiteren - neben den vorgenannten Netto-Verdienstentgang tretenden - materiellen Schaden und zukünftigen nicht vorhersehbaren immateriellen Schaden aus dem Verkehrsunfall vom 00.00.2017 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergangen sind.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Gerichtskosten, die außergerichtlichen Kosten des Klägers und die außergerichtlichen Kosten der Beklagten in erster Instanz tragen der Kläger zu 46 % und die Beklagten gesamtschuldnerisch zu 54 %. Die außergerichtlichen Kosten der Streithelferin in erster Instanz tragen der Kläger zu 46 % und die Streithelferin zu 54 %.

Die Gerichtskosten, die außergerichtlichen Kosten des Klägers und die außergerichtlichen Kosten der Beklagten in zweiter Instanz tragen der Kläger zu 30 % und die Beklagten gesamtschuldnerisch zu 70 %. Die außergerichtlichen Kosten der Streithelferin in zweiter Instanz tragen der Kläger zu 30 % und die Streithelferin zu 70 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die jeweiligen Vollstreckungsschuldner dürfen die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweiligen Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

Der Streitwert in erster Instanz wird auf bis zu 28.900,00 EUR (Schmerzensgeldklage 15.000,00 EUR, Verdienstausfallleistungsklage bis zu 10.900,00 EUR, allgemeine Feststellungs...

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