Leitsatz (amtlich)
1. Ein die Abberufung eines Aufsichtsratsmitglieds tragender wichtiger Grund in dessen Person ist im Allgemeinen gegeben, wenn ein Verbleiben des Mitgliedes im Aufsichtsrat bis zum Ablauf seiner Amtszeit für die Gesellschaft unzumutbar ist, weil einem Verbleib das Interesse der Gesellschaft an einem funktionsfähigen Aufsichtsrat entgegensteht.
2. Ein verhaltensbedingter wichtiger Grund für eine Abberufung muss sich nicht zwingend aus dem Verhalten als Aufsichtsratsmitglied ergeben. Es genügt, dass ein Zusammenhang des Verhaltens mit der Aufsichtsratstätigkeit erkennbar ist und dass sich der verhaltensbedingte Grund auf diese Tätigkeit und damit auf die Gesellschaft auswirkt. Für letzteres genügen bereits Reputationsschäden der Gesellschaft, die - auch - auf einem ethischen Fehlverhalten des Aufsichtsratsmitglieds außerhalb seines Aufsichtsratsmandats beruhen können.
3. Der Umstand, dass das abzuberufende Aufsichtsratsmitglied weitere Pflichten - wie hier als Betriebsrat - zu beachten hat, hindert die Annahme eines wichtigen Grundes für die Abberufung jedenfalls dann nicht, wenn tatsächlich beide Bereiche betroffen sind, da eine mögliche Interessenkollision die Pflichtwidrigkeit gegenüber der Gesellschaft nicht entfallen lässt.
4. Da sich der wichtige Grund für die Abberufung aus der Zerstörung des Vertrauens der Gesellschaft in die persönliche Integrität und Zuverlässigkeit und der daraus ergebenden mangelnde Eignung als Aufsichtsratsmitglied ergibt, kommt es nicht darauf an, ob die Gefahr einer Wiederholung des konkreten Fehlverhaltens besteht.
Normenkette
AktG § 103 Abs. 3; SE-VO Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii)
Verfahrensgang
AG Mannheim (Aktenzeichen HRB 719915) |
Tenor
Die Beschwerde des Antragsgegners vom 24.11.2021 gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Registergericht - Mannheim vom 20.10.2021, Aktenzeichen: HRB, wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf EUR 60.000,00 festgesetzt.
Gründe
I. Der Aufsichtsrat der SAP SE (fortan: Gesellschaft) begehrt die Abberufung des Antragsgegners als Mitglied des Aufsichtsrates der Gesellschaft aus wichtigem Grund.
Der bei der Gesellschaft beschäftigte Antragsgegner ist seit 2019 als Gewerkschaftsvertreter Aufsichtsratsmitglied der Gesellschaft; seine reguläre Amtszeit endet 2024. Der Antragsgegner war zudem als Arbeitnehmervertreter Mitglied des Betriebsrates der Gesellschaft, dessen Vorsitz er - nach den hier streitgegenständlichen Geschehnissen - am 25.06.2021 niederlegte.
Nachdem die Gesellschaft aufgrund von whistleblower-Meldungen mit dem Verdacht konfrontiert worden war, dass ein - damaliges - Mitglied des Aufsichts- und Betriebsrats, B., über viele Jahre hinweg tatsächlich mehrfach im Urlaub gewesen sei, ohne solchen bei der Gesellschaft beantragt zu haben, sprach die Gesellschaft diesen am 27.05.2021 hierauf an, bat um die Bestätigung der Korrektheit seiner Urlaubsliste, führte gegen Mittag ein diesbezügliches Gespräch mit dem Antragsgegner als Betriebsratsvorsitzenden und einer seiner Stellvertreterinnen und wandte sich schließlich am späten Nachmittag (16:53 Uhr) unter Bezugnahme auf das zuvor geführte Gespräch ("wie heute Mittag besprochen") per E-Mail an den Betriebsrat mit der Bitte, sie über die Abwesenheitszeiten des B. im Betriebsrat zu informieren (Anlage ASt 2 [AS 34]).
Bereits um 13:19 Uhr des 27.05.2021 manipulierte der Antragsgegner die Absage-E-Mail des B. zur 90. Sitzung des Betriebsrats, indem er den Absagegrund "Urlaub" entfernte (Anlage ASt 13, Seiten 3 f. [AS 61 f.]). Am 28.05.2021 löschte der Antragsgegner die Absage-E-Mails des B. zur 80., 82. und 87. Betriebsratssitzung (Anlage ASt 13, Seiten 1 bis 3 [AS 59 ff.]). Am 29.05.2021 beantragte der Antragsgegner Urlaub vom 31.05. bis zum 02.06.2021.
Nachdem am 31.05.2021 B. gegenüber der Gesellschaft bestätigt hatte, dass die vorgelegte Urlaubsliste vollständig und korrekt sei, führte die Gesellschaft ein weiteres Gespräch mit dem Antragsgegner als Betriebsratsvorsitzenden und dessen Stellvertreterinnen mit Blick auf die Erforderlichkeit des Abgleichs mit den Organisationsdaten des Betriebsrats und forderte erneut zur Herausgabe der dem Betriebsrat vorliegenden Informationen zur Abwesenheit des B. auf, konkret an welchen Betriebsratssitzungen dieser laut der Dokumentation des Betriebsrats aus welchem Abwesenheitsgrund nicht teilgenommen hatte.
Am 01.06.2021 erhielt die Gesellschaft einen ersten anonymen Hinweis darauf, dass relevante Daten, insbesondere "Urlaubsabsagen" des B. bezüglich der 80. Sitzung des Betriebsrats am 15.10.2020, dessen 82. Sitzung am 22.10.2020 und dessen 87. Sitzung am 26.11.2020, aus der sog. (E-Mail-)Inbox des Vorsitzes des Betriebsrats gelöscht worden seien. Ebenfalls am 01.06.2021 beantragte die Gesellschaft beim Betriebsrat eine - bis spätestens 04.06.2021 durchzuführende - Sondersitzung, um über die Herausgabe konkreter Ab- und Anwesenheitszeiten des B. zu entschei...