Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Erforderlichkeit der Bestellung eines Verfahrensbeistands im Verfahren auf Feststellung des Ruhens der elterlichen Sorge

 

Leitsatz (amtlich)

1. Dem selbst nicht verfahrensfähigen Kind ist zur Wahrung seiner Interessen und zur Sicherstellung eines effektiven Rechtsschutzes ein Verfahrensbeistand zu bestellen, wenn seine Interessen im familiengerichtlichen Verfahren anderweitig nicht ausreichend gewahrt sind, insbesondere wenn im Verfahren nach § 1674 BGB die Frage, ob den Eltern die Wahrnehmung der Kindesinteressen möglich ist, den Gegenstand des Verfahrens bildet.

2. Die Bestellung eines Verfahrensbeistands kann noch nach Erlass einer Sachentscheidung nachzuholen sein, um einen effektiven Rechtsschutz für das betroffene Kind zu gewährleisten.

 

Normenkette

BGB § 1674; FamFG § 9 Abs. 1-2, §§ 26, 40 Abs. 1, §§ 60, 64 Abs. 2 S. 4, § 158

 

Verfahrensgang

AG Villingen-Schwenningen (Beschluss vom 07.03.2024; Aktenzeichen 25 F 91/23)

 

Tenor

1. Die Beschwerde der Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Villingen-Schwenningen vom 07.03.2024 (25 F 91/23) wird als unzulässig verworfen.

2. Von der Erhebung der Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens wird abgesehen; außergerichtliche Kosten im Beschwerdeverfahren werden nicht erstattet.

3. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 4.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Gegenstand des Verfahrens ist die elterliche Sorge für eine Minderjährige, die sich ohne ihre Eltern in Deutschland aufhält.

Das Kind B (im Folgenden: Betroffene), geboren am ... in ..., reiste Mitte Oktober 2023 nach Deutschland ein. Sie lebt seitdem bei ihrem Onkel K. (im Folgenden: Onkel) in .... Ihre Mutter M (im Folgenden: Mutter) und ihr Vater V (im Folgenden: Vater) sind mit den vier Geschwistern der Betroffenen in ... verblieben. Ihr Aufenthaltsort wurde vom Jugendamt am 20.10.2023 mit ... und am 24.01.2024 mit ... angegeben. Die Betroffene hat telefonischen Kontakt zu ihren Eltern unter Verwendung des Mobiltelefons ihres Onkels.

Mit Schreiben vom 20.10.2023 regte das Jugendamt des Schwarzwald-Baar-Kreises gegenüber dem Amtsgericht - Familiengericht - Villingen-Schwenningen die Feststellung des Ruhens der elterlichen Sorge nach § 1674 BGB und die Bestellung des Onkels zum Vormund der Betroffenen an. Dabei teilte es seine Einschätzung mit, dass die Eltern aufgrund der eingeschränkten Versorgungslage in Syrien sowie fehlender Kenntnisse des deutschen Sprach- und Rechtsraums nicht in der Lage seien, die elterliche Sorge für die Betroffene auszuüben.

Am 30.04.2023 hatten die Eltern dem Onkel beim Justizamt in ... eine "islamrechtliche Vormundschaft" für migrations- und passrechtliche Angelegenheiten erteilt. Diese war ab ihrer Ausstellung auf drei Monate befristet.

Im Rahmen der persönlichen Anhörung der Betroffenen und ihres Onkels am 28.12.2023 teilte der Onkel mit, dass er seinen Bruder in Syrien kontaktieren und diesen um eine vollumfängliche Vollmacht für B bitten werde. Er rechne innerhalb von sechs Wochen mit deren Erhalt.

Mit Beschluss vom 07.03.2024 (25 F 91/23) entschied das Amtsgericht Villingen-Schwenningen, von familiengerichtlichen Maßnahmen abzusehen, da die Eltern mithilfe moderner Kommunikationsmittel die elterliche Sorge für die Betroffene von Syrien aus ausüben könnten. Die Betroffene habe nahezu täglich Kontakt zu den Eltern. Die politische Situation im Herkunftsland und die bestehende Sprachbarriere seien für die Feststellung des Ruhens der elterlichen Sorge unerheblich.

Der Beschluss wurde am 13.03.2024 an die Betroffene übermittelt. Dem Jugendamt wurde der Beschluss am 20.03.2024 zugestellt. Die Anschrift der Eltern ist bislang nicht aktenkundig, der angegriffene Beschluss wurde an sie nicht versandt. Ein Verfahrensbeistand wurde der Betroffenen nicht bestellt.

Mit Schreiben vom 28.03.2024, beim Amtsgericht eingegangen am 06.04.2024, legte die Betroffene selbst Beschwerde gegen den Beschluss vom 07.03.2024 ein. Das Schreiben ist maschinenschriftlich mit dem Namen "B" unterschrieben. Zur Begründung trägt sie vor, die Beschaffung von Vollmachten durch die Eltern sei sehr teuer und mühsam. Auch könne auf Grundlage von Vollmachten kein Asylantrag gestellt werden. Sie wünsche sich einen Vormund, der ihr bei allem helfen könne, sowie einen Verfahrensbeistand, der sie berate. Sie fügte ein "Dokument zur vorübergehenden gesetzlichen Vormundschaft" des Justizamtes in ... vom 11.01.2024 in deutscher Übersetzung bei, laut welchem der Onkel befristet für die Dauer von drei Monaten zu ihrem vorübergehenden gesetzlichen Vormund ernannt wird. Sinngemäß soll dies laut Übersetzung die Erlaubnis umfassen, mit dem Kind zusammenzuleben, Einwanderungs- und Passangelegenheiten zu regeln und sie an einer Schule anzumelden.

Mit auf den 23.04.2024 datiertem Schreiben teilte das Jugendamt mit, dass am 26.04.2024 eine telefonische Unterredung mit den Eltern stattgefunden habe, in welcher der Vater angekündigt habe, eine notariell beglaubigte Personensorg...

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