Leitsatz (amtlich)
1. Zum Zusammenspiel von "Maßnahmestatut" und Sorgerechtsstatut nach Art. 15, 16 KSÜ.
2. Ein Antrag nach § 1671 Abs. 1 BGB ist zurückzuweisen, wenn nicht feststeht, dass die Übertragung der alleinigen Sorge auf den Antragsteller die im Sinne des Kindeswohls bessere Alternative gegenüber der Beibehaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge darstellt.
3. Nach § 1626a Abs. 2 BGB ist die elterliche Sorge den Eltern vom Familiengericht bzw. -senat auch dann gemeinsam zu übertragen, wenn sich nicht feststellen lässt, ob die gemeinsame elterliche Sorge dem Kindeswohl besser entspricht als die Alleinsorge der Mutter. Außerhalb der Fälle des § 1626a Abs. 2 Satz 2 BGB sieht das Gesetz dabei keine Einschränkungen der gerichtlichen Amtsermittlungspflicht vor.
Verfahrensgang
AG Konstanz (Beschluss vom 20.06.2017; Aktenzeichen 2 F 55/17) |
Tenor
1. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Konstanz vom 20.06.2017 (2 F 55/17) in Ziffer 1 abgeändert und insofern wie folgt neu gefasst:
In Abänderung des Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Konstanz vom 08.02.2013 (3 F 93/12) wird die elterliche Sorge für ... (geboren am ...) den Eltern ... und ... insgesamt gemeinsam übertragen. Der weitergehende Antrag des Antragstellers wird zurückgewiesen.
2. Gerichtsgebühren werden für das Beschwerdeverfahren nicht erhoben. Außergerichtliche Auslagen werden nicht erstattet.
3. Der Verfahrenswert des Beschwerdeverfahrens wird festgesetzt auf 3.000,00 EUR.
Gründe
I. Das Beschwerdeverfahren betrifft die elterliche Sorge für ....
... wurde am ... in ... geboren; die Eltern waren und sind nicht miteinander verheiratet. Die Mutter stammt aus Peru, der Vater aus Deutschland. Im März 2010 kamen die Eltern mit ... nach Deutschland. Im Juli 2010 trennten sich die Eltern. Seitdem lebt ... bei der Mutter. Im Juni 2012 stellte der Vater den Antrag, ihm das alleinige Sorgerecht für ... zu übertragen. Nach Einholung eines familienpsychologischen Gutachtens kamen die Eltern in einem Termin beim Amtsgericht Konstanz am 06.02.2013 überein, das Sorgerecht für ... gemeinsam auszuüben, bis auf das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die EU und die Schweiz, welches der Mutter weiter allein zustehen sollte. Mit Beschluss vom 08.02.2013 (3 F 93/12) regelte das Amtsgericht Konstanz das Sorgerecht dementsprechend. Weiterer Inhalt der Vereinbarung vom 06.02.2013 war u.a. ein 14-täglicher Wochenendumgang des Vaters mit ....
Im März 2014 regte das Jugendamt beim Amtsgericht an, die Erziehungsfähigkeit der Eltern zu prüfen sowie eine Umgangspflegschaft und eine Ergänzungspflegschaft des Jugendamts für den Bereich der Gesundheitsfürsorge einzurichten. Es wurde über schwere Konflikte der Eltern berichtet, die zu einer massiven emotionalen Belastung ... geführt hätten. Das Verfahren (AG Konstanz 6 F 66/14) wurde im Juli 2014 einvernehmlich beendet. Eine Umgangspflegschaft wurde eingerichtet, und die Eltern entbanden die Ärzte ... von der Schweigepflicht gegenüber dem Jugendamt. Es blieb grundsätzlich bei einem 14-täglichen Wochenendumgang des Vaters.
Im August 2016 erhob die Mutter Vorwürfe sexuellen Missbrauchs gegen den Vater; die Abklärung in der Kinderklinik ergab bei ... die Diagnose einer akuten Verstopfung und keinen Hinweis auf sexuellen Missbrauch. Die Mutter verweigerte anschließend den weiteren Umgang, woraufhin der Vater ein Umgangsverfahren einleitete (AG Konstanz 2 F 242/16). Im Termin am 31.01.2017 berichteten das Jugendamt und die Verfahrensbeiständin über massive Verhaltensauffälligkeiten ...; dieser verweigere zudem aktuell jeden Umgang mit dem Vater. Beide Eltern erklärten sich mit einer psychiatrischen Abklärung durch die ... einverstanden. Dort stellten sich die Mutter und ... am 07.02.2017 vor. Der Bericht der ... vom 20.02.2017 nennt die Verdachtsdiagnose einer akuten Belastungsreaktion und einer emotionalen Störung des Kindes- und Jugendalters bei .... Die Mutter sei nicht in der Lage, emotional für das Kind zu sorgen, aber ... sei stark an sie gebunden. Die parallele Aufnahme von Mutter und Kind in jeweils geeignete Einrichtungen sei erforderlich. Zwischen der Mutter, dem Jugendamt und der Verfahrensbeiständin wurde daraufhin abgesprochen, dass die Mutter einen Antrag auf eine psychosomatische Eil-Reha-Maßnahme stellen werde mit dem Ziel, dass die Mutter in der Erwachsenen- und ... in der Kinder- und Jugendpsychiatrie der ... in ... aufgenommen werde.
Der letzte Kontakt zwischen der Mutter und dem Jugendamt fand am 10.02.2017 statt. Am 21.02.2017 teilte das Jugendamt dem Amtsgericht mit, dass die Mutter verschwunden sei; im zwischenzeitlich eingeleiteten Verfahren nach § 1666 BGB wurde daraufhin eine Grenzsperre angeordnet. Derzeit halten sich Mutter und Kind in Peru auf; der Vater hat einen Antrag auf Rückführung nach dem Haager Übereinkommen vom 25.10.1080 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (HKÜ) gestellt.
Unter dem 26.02.2017 stellte der Vater beim ...