Entscheidungsstichwort (Thema)
Wahlfeststellung. prozessuale Tat. Beteiligungslüge in sog. 2-Personen-Konstellationen
Leitsatz (amtlich)
1. Die zu den Rechtspflegedelikten gehörenden Tatbestände der falschen Verdächtigung (§ 164 Abs. 1 StGB) und (versuchten) Strafvereitelung (§§ 258, 22 StGB) verdienen nach allgemeinem Rechtsempfinden jedenfalls ähnliche sittliche Missbilligung und es besteht auch eine in etwa gleichgeartete psychische Beziehung des Täters zu den den jeweiligen Tatbestand erfüllenden Verhaltensweisen, nämlich - hier - als Zeuge gegenüber der Polizei - entweder - bewusst wahrheitswidrig mit dem Ziel dessen unberechtigter Strafverfolgung wegen Straßenverkehrsgefährdung behauptet zu haben, nicht er (der Angeklagte), sondern sein alkoholisierter Mitfahrer habe das Fahrzeug geführt und den Verkehrsunfall verursacht - oder - später mit dem Ziel, eine Anklageerhebung gegen den Mitfahrer wegen Straßenverkehrsgefährdung zu verhindern, wahrheitswidrig behauptet zu haben, er selbst habe das Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt geführt. Aus diesem Grund kann die Staatsanwaltschaft beide Sachverhalte alternativ anklagen, wenn sie nicht mit hinreichender Sicherheit aufklären kann, welche der beiden sich ausschließenden Varianten der Wahrheit entspricht.
2. Verurteilt das Tatgericht wegen einer (hier: der ersten) der alternativ angeklagten, prozessual selbständigen Taten, muss es den Angeklagten wegen der zweiten freisprechen (BGH NStZ 1998, 635). Unterbleibt ein Freispruch, muss dieser vom Revisionsgericht nachgeholt werden. Denn das Tatgericht hat sich - ohne dies im Urteilstenor zum Ausdruck zu bringen - denknotwendig mit der zweiten Alternative befasst und diese ausgeschlossen. Dies hat zur Konsequenz, dass nach Aufhebung des vom Angeklagten mit der Revision angefochtenen Urteils und Zurückverweisung das neue Tatgericht sich nur noch mit der ersten Alternative befassen darf.
3. Nimmt der Strafbefehl auf die vorangegangene Unfallfahrt lediglich erläuternd zum Zwecke des Verständnisses der späteren, sich widersprechenden polizeilichen Aussagen des Angeklagten zum Unfallverursacher Bezug, ohne die Unfallverursachung diesem konkret vorzuhalten, kann der Angeklagte deswegen (hier: Fahren ohne Fahrerlaubnis) nicht verurteilt werden, weil dieser Sachverhalt von der Anklage nicht umfasst wird (§ 264 Abs. 1 StPO).
4. Eine sog. Beteiligungslüge vor Ort im Rahmen der polizeilichen Vernehmung als (verdächtiger) Zeuge ist auch in sog. Zweipersonenverhältnissen als falsche Verdächtigung (§ 164 Abs. 1 StGB) strafbar, wenn der Täter nach einem Verkehrsunfall mit einem Pkw den einzigen Mitfahrer gegenüber der Polizei bewusst wahrheitswidrig der Unfallverursachung bezichtigt und über das sichere Wissen verfügt, dass die von ihm erhobene Anschuldigung zu einem Verfahren gegen den Verdächtigten wegen einer Straftat führen würde.
Normenkette
StGB §§ 164, 258, 22-23, 316 Abs. 2; StPO § 200 Abs. 1, §§ 206a, 264, 267, 409 Abs. 1
Tenor
- Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts K. vom 16. Januar 2020 mit den Feststellungen aufgehoben.
- Soweit der Angeklagte wegen (vorsätzlichen) Fahrens ohne Fahrerlaubnis verurteilt wurde, wird das Verfahren eingestellt.
- Soweit der Angeklagte (alternativ) wegen versuchter Strafvereitelung angeklagt wurde, wird er freigesprochen.
- Im Übrigen wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch hinsichtlich der Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Karlsruhe zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht - Jugendgericht - K. verurteilte den Angeklagten am 16.01.2020 wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis, falscher Verdächtigung und fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu der Gesamtgeldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 15,- Euro. Gegen das Urteil des Amtsgerichts legte der Angeklagte form- und fristgerecht Berufung ein, ging dann (BGH, Beschl. v. 19.4.1985, 2 StR 317/84, BeckRS 9998, 168899) innerhalb der Revisionsbegründungsfrist zur Revision über.
Der Angeklagte beantragt, das Urteil mit den Feststellungen aufzuheben und das Verfahren einzustellen, soweit der Angeklagte wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis verurteilt wurde, die Sache im Übrigen an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat sich hinsichtlich des Vorwurfs des Fahrens ohne Fahrerlaubnis diesem Antrag angeschlossen und beantragt im Übrigen, die Revision mit der Maßgabe als unbegründet zu verwerfen, dass der Angeklagte zu einer Gesamtgeldstrafe von 51 Tagessätzen zu je 15,- Euro verurteilt wird.
II.
1. Die nach zulässiger Revision von Amts wegen durchzuführende Prüfung der Verfahrensvoraussetzungen ergibt, dass es hinsichtlich der Verurteilung des Angeklagten wegen (vorsätzlichen) Fahrens ohne Fahrerlaubnis an der Erhebung einer ordnungsgemäßen Anklage (hier in Form eines Strafbefehls) fehlt.
Der Strafbefehl vom 30.09.2019 legt dem Angeklagten - in zulässiger Weise alternativ, da die zur Wahl stehenden Tatvorwürfe beide zu de...