Entscheidungsstichwort (Thema)
Einem Rechtsanwalt, der sich darauf eingerichtet hat, einen Schriftsatz per beA zu übermitteln, kann im Rahmen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht vorgehalten werden, er hätte sicherstellen müssen, im Störungsfall einen zweiten Versandweg zur Verfügung zu haben (Fax) oder auf einen neuen Versandweg ausweichen müssen, den er vorher noch nicht genutzt hatte (Computerfax).
Normenkette
ZPO §§ 130d, 233
Verfahrensgang
LG Heidelberg (Urteil vom 14.02.2023; Aktenzeichen 2 O 407/21) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Heidelberg vom 14.02.2023, Az. 2 O 407/21, im Kostenpunkt aufgehoben und wie folgt abgeändert:
a. Das Versäumnisurteil vom 10.10.2022 wird aufgehoben.
b. Es wird festgestellt, dass die Beklagte aus dem Versicherungsvertrag Nr. (...) im Zusammenhang mit der Schadennummer (...) verpflichtet ist, die Kosten der außergerichtlichen und erstinstanzlichen Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Klägers gegen die [Herstellerin] aus dem Kauf eines [Fahrzeugs] (FIN ...) und der unterstellten Manipulation der Abgassteuerung dieses Fahrzeugs zu tragen, soweit der Kläger den Differenzschaden geltend macht. Dieser ist innerhalb einer Bandbreite zwischen 5% und 15% des gezahlten Kaufpreises zu bemessen und später eintretende Umstände sind im Wege der Vorteilsausgleichung schadensmindernd anzurechnen. Insbesondere sind Nutzungsvorteile und der Restwert des Fahrzeugs anzurechnen, wenn sie den Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrags (gezahlter Kaufpreis abzüglich Differenzschaden) übersteigen.
c. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
5. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Mit seiner Klage begehrt der Kläger Deckungsschutz aus der Rechtsschutzversicherung, die er bei der Beklagten unterhält (Versicherungsvertrag Nr. ...).
In den Vertrag einbezogen sind die Verkehrs-Rechtsschutz-Versicherungsbedingungen der
[Beklagten] (VRB) 2008 (im Folgenden: VRB 2008), die der Kläger in der Berufung mit Schriftsatz vom 22.08.2023 vorgelegt hat. Diese lauten auszugsweise wie folgt:
§ 2 Leistungsarten
Die verschiedenen Formen des [...]-Rechtsschutzes werden in den Paragrafen 21 bis 25 geregelt.
Dort wird der Versicherungsschutz hinsichtlich bestimmter Fahrzeuge oder im Rahmen bestimmter Eigenschaften der versicherten Personen aus den folgenden Leistungsarten gebildet:
1. Schadenersatz-Rechtsschutz für die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen des Versicherten, die auf gesetzlicher Haftpflicht des Schädigers beruhen;
(...)
§ 17 Deckungsablehnung wegen ungenügender Erfolgsaussicht
(1) Soweit die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, kann der Versicherer den Rechtsschutz ganz oder teilweise ablehnen; dies gilt nicht bei den Fällen des § 2 Nr. 3 (Verteidigungs-Rechtsschutz) in den Tatsacheninstanzen.
(2) Die Ablehnung ist dem Versicherten unter Angabe der Gründe unverzüglich mitzuteilen, sobald der Sachverhalt genügend geklärt ist. Gleichzeitig ist der Versicherte darauf hinzuweisen, dass er anstelle einer gerichtlichen Klärung zunächst ein Schiedsgutachterverfahren einleiten kann, dessen Kosten der Versicherer trägt. Dazu veranlasst der Versicherte seinen Rechtsanwalt, eine begründete Stellungnahme darüber abzugeben, ob die Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
(3) Die unparteiische Entscheidung des Gutachters ist für beide Seiten bindend, es sei denn, dass sie offenbar von der wirklichen Sach- oder Rechtslage erheblich abweicht.
(4) Will der Versicherer sich darauf berufen, dass diese Entscheidung nicht bindend sei, muss er dies gegenüber dem Versicherten innerhalb eines Monats begründen.
Der Kläger beabsichtigt, gegen die [Herstellerin] Schadensersatzansprüche wegen einer Manipulation der Abgassteuerung am Pkw des Klägers ([Fahrzeug, FIN: ...]) geltend zu machen. Das Fahrzeug hatte der Kläger am 17.09.2015 als Gebrauchtwagen zum Preis von 25.900,00 EUR gekauft. Grundlage der beabsichtigten Klage ist die Annahme des Klägers, in dem Fahrzeug sei eine unzulässige Abschalteinrichtung zur Verringerung des Schadstoffausstoßes verbaut. Die Software sei so konzipiert, dass sie Prüfungssituationen als unnatürliches Fahrverhalten erkenne und in einem solchen Fall die Abgasaufbereitung optimiere, so dass möglichst wenig Stickoxide entstünden. Das Fahrzeug verfüge über ein "Thermofenster": Der Wirkungsgrad der Abgasreinigung werde im Temperaturbereich zwischen 20 und 30° C (ggf. mit einem geringen Sicherheitspuffer von einigen Grad nach oben und unten) reduziert bzw. diese werde irgendwann gänzlich abgeschaltet. Die Abgasrückführung werde auch in Abhängigkeit der Drehzahl, des Umgebungsdrucks und des Drehmoments gesteuert und auf den Rollenprüfstand abgestimmt. Zudem sei in die Motorsteuerung ein unz...