Leitsatz (amtlich)
Eine umgebungsdruckabhängigen Anpassung der Abgasrückführung, die bewirkt, dass die Abgasrückführungsrate jedenfalls ab einer Höhe von 1.000 m - nach Vortrag der Beklagten sogar ab 800 m - zumindest reduziert wird und dadurch Einfluss auf das Emissionsverhalten des Fahrzeugs nimmt, ist eine unzulässige Abschalteinrichtung, die grundsätzlich Ansprüche gem. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1 und 27 Abs. 1 EG-FGV begründet (hier bei einem Fahrzeug des VW-Konzerns mit einem 2,0 l 110 kW Dieselmotor EA 288 der Schadstoffklasse EU 6 mit SCR-Katalysator).
Normenkette
BGB § 823 Abs. 2, § 826; EG-FGV §§ 6, 27
Verfahrensgang
LG Heidelberg (Urteil vom 25.08.2022; Aktenzeichen 8 O 80/22) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Heidelberg vom 25.08.2022 - 8 O 80/22 - im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt abgeändert:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an Kläger 3.249 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 22.01.2021 zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
III. Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens hat der Kläger zu 89 % und die Beklagte zu 11 % zu tragen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu 63 % und die Beklagte zu 37 % zu tragen.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
- ohne Sachverhaltsdarstellung gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 Abs. 1 S. 1 ZPO -
Die Berufung ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte Anspruch auf Ersatz eines Differenzschadens in Höhe von 3.249 EUR.
1. Die Berufung bleibt mit dem Hauptantrag, mit dem der Kläger den kleinen Schadensersatz in Höhe von 15 % des Nettokaufpreises beansprucht, ohne Erfolg. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Schadensersatzanspruch gemäß § 826 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung. Ein solcher Anspruch würde voraussetzen, dass das streitgegenständliche Fahrzeug VW Tiguan Sport & Style 4Motion BM 2.0 TDI (110 kW, Erstzulassungsdatum 07.07.2015) mit dem von der Beklagten hergestellten und in Verkehr gebrachten Dieselmotor der Schadstoffklasse EU 6 vom Typ EA 288 und SCR-Katalysator tatsächlich über die behaupteten unzulässigen Abschalteinrichtungen verfügt und dieser Umstand (in Ansehung einer oder mehrerer Abschalteinrichtungen) als sittenwidrig zu qualifizieren und dem Kläger deshalb ein Schaden entstanden ist. Das ist nicht der Fall.
a. Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 - VI ZR 433/19 -, juris Rn. 14).
Nach diesen Grundsätzen kann ein objektiv sittenwidriges Handeln der Beklagten nicht allein daraus abgeleitet werden, dass im Fahrzeug des Klägers Einrichtungen vorhanden sind, die die Abgasemissionen beeinflussen und möglicherweise als unzulässige Abschalteinrichtungen im Sinne von Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 zu qualifizieren sind (vgl. zur Rechtslage allgemein EuGH, Urteil vom 17. Dezember 2020 - C-693/18, NJW 2021, 1216 - CLCV u.a.). Der darin liegende Gesetzesverstoß wäre für sich genommen nicht geeignet, den Einsatz emissionsbeeinflussender Einrichtungen im Verhältnis zum Kläger als besonders verwerflich erscheinen zu lassen. Hierfür bedürfte es vielmehr weiterer Umstände. Die Annahme von Sittenwidrigkeit setzt jedenfalls voraus, dass die verantwortlich handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der emissionsbeeinflussenden Einrichtungen in dem Bewusstsein agierten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Fehlt es hieran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt (BGH, Urteil vom 12.10.2023 - VII ZR 412/21 -, juris Rn. 15 m.w.N.).
b. Der Umstand, dass im streitgegenständlichen Fahrzeug mit SCR im Zeitpunkt des Erwerbs unstreitig die in der "Entscheidungsvorlage: Applikationsrichtlinien und Freigabeverfa...