Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftungsquote bei einem Auffahrunfall

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei einem Auffahrunfall wird der Anscheinsbeweis für einen schuldhaften Verkehrsverstoß des Auffahrenden (zu geringer Abstand und/oder Unaufmerksamkeit) in der Regel auch dann nicht erschüttert, wenn der Fahrer des vorderen Fahrzeugs ohne verkehrsbedingten Anlass eine abrupte Bremsung durchgeführt hat.

2. Bei einer abrupten Bremsung ohne äußeren Anlass liegt allerdings gleichzeitig ein schuldhafter Verkehrsverstoß des vorausfahrenden Fahrzeugführers vor; bei einem Auffahrunfall kann eine Haftungsquote von 50 % in Betracht kommen.

 

Normenkette

StVG § 7 Abs. 1, § 17 Abs. 2; StVO § 1 Abs. 2, § 4 Abs. 1 Sätze 1-2

 

Verfahrensgang

LG Konstanz (Urteil vom 08.04.2011; Aktenzeichen 3 O 221/10 A)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des LG Konstanz vom 8.4.2011 - 3 O 221/10 A - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das Urteil des LG ist im Kostenpunkt ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Der Kläger macht Schadensersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall geltend. Am 21.2.2010 zwischen 09:00 und 10:00 Uhr kam es auf der B 33 auf der Höhe des Klosters H. zu einem Verkehrsunfall, an welchem die Ehefrau des Klägers, die Zeugin R., als Fahrerin eines Pkw BMW beteiligt war und die Beklagte Ziff. 1 als Fahrerin und Halterin eines Pkw Golf. Der Kläger ist der Eigentümer des von der Zeugin R. gefahrenen Pkw BMW. Die Beklagte Ziff. 2 ist die für das Fahrzeug der Beklagten Ziff. 1 zuständige Haftpflichtversicherung.

Die Zeugin R. und die Beklagte Ziff. 1 befuhren die B 33 in gleicher Richtung, nämlich in Fahrtrichtung Konstanz, wobei die Beklagte Ziff. 1 dem von der Zeugin R. gefahrenen Pkw BMW folgte. In Höhe des Klosters H. befand sich auf der B 33 eine Baustellenampel, die - jedenfalls für die Fahrtrichtung der Zeugin und der Beklagten Ziff. 1 - zum Unfallzeitpunkt ausgeschaltet war. Unmittelbar vor der Ampel bremste die Zeugin den Pkw BMW stark ab, weil sie an der Ampel anhalten wollte. Die Beklagte Ziff. 1 fuhr mit ihrem Fahrzeug auf den Pkw BMW auf, wobei nicht festgestellt ist, ob der Pkw BMW sich zum Zeitpunkt der Kollision noch in Bewegung befand oder ob er bereits stand. Am Fahrzeug des Klägers entstand Sachschaden. Der Schaden des Klägers ist i.H.v. insgesamt 8.435,32 EUR unstreitig (Reparaturkosten, Wertminderung, Gutachterkosten, Unkostenpauschale und Nutzungsausfall entsprechend der Aufstellung in der Klageschrift, I 5).

Im Bereich der Unfallörtlichkeit galt eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 50 km/h. Wegen der Baustelle stand zum Unfallzeitpunkt eine zweite Baustellenampel auf der B 33 am anderen Ende der Baustelle für die Fahrzeuge, die die

B 33 in der Gegenrichtung befuhren. Eine weitere Baustellenampel befand sich an der Einmündung einer Straße, die aus der Sicht der Zeugin und der Beklagten Ziff. 1 im Bereich der Baustelle von links auf die B 33 stieß. Zum Zeitpunkt der Kollision stand an dieser Einmündung ein Fahrzeug, dessen Fahrerin nach links in die B 33 einbiegen wollte. Außerdem standen aus der Sicht der Unfallbeteiligten an der für die Gegenrichtung bestimmten Baustellenampel Fahrzeuge. Ob die Baustellenampel für die Gegenrichtung wegen eines Ampeldefekts "rot" zeigte, ist streitig. Weitere Umstände der in der Gegenrichtung stehenden Fahrzeuge (Anzahl dieser Fahrzeuge, Dauer des Stillstands und Ursache für das Stehen dieser Fahrzeuge) sind nicht bekannt. Unstreitig gab es zum Zeitpunkt der Kollision auf der Straße für die Zeugin kein Hindernis. Die Straße war auch im Baustellenbereich breit genug, so dass die Unfallbeteiligten einerseits und die Fahrzeuge des Gegenverkehrs andererseits unschwierig aneinander vorbeifahren konnten.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, für den Unfall sei allein die Beklagte Ziff. 1 verantwortlich, da sie keinen ausreichenden Sicherheitsabstand eingehalten habe. Der Zeugin R. falle kein Verkehrsverstoß zur Last. Daher hat der Kläger erstinstanzlich seinen vollen Schaden geltend gemacht.

Das LG hat die Beklagten mit Urteil vom 8.4.2011 gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger 4.217,66 EUR nebst Zinsen hieraus i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.4.2010 zu zahlen, sowie zur Zahlung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten i.H.v. 446,13 EUR. Der Kläger könne von den Beklagten nur die Hälfte seines Schadens ersetzt verlangen. Zwar habe die Beklagte Ziff. 1 den Unfall dadurch verursacht, dass sie keinen ausreichenden Sicherheitsabstand zum vorausfahrenden Fahrzeug der Zeugin R. eingehalten habe. Der Beklagten Ziff. 1 sei außerdem vorzuwerfen, dass sie mit einer Verlangsamung des vorausfahrenden Fahrzeugs der Zeugin hätte rechnen müssen, da im Bereich der Baustellenampel eine "unklare Verkehrssituation" bestanden habe. Andererseits falle jedoch auch der Zeugin R. ein schuldhafter Verkehrsverstoß zur Last. Denn di...

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