Entscheidungsstichwort (Thema)
Forderung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Tierhalterhaftung des Betreibers eines Rotwildgeheges endet nicht mit dem Entlaufen eines brünftigen Hirschs.
2. Den Leiter des Staatlichen Forstamts, der nach dem Entweichen eines Rothirschs aus einem Tiergehege herbeigerufen wird, trifft ein erhebliches Mitverschulden, wenn er sich dem Tier unter Verletzung jagdlicher Grundregeln auf kurze Distanz nähert, vom Hirsch angegriffen und vom Dach einer Hanggarage gestoßen wird.
3. Der auf die Anstellungskörperschaft übergegangene Ersatzanspruch des Verletzten ist nicht nach § 636 RVO ausgeschlossen, denn der Verletzte ist lediglich als Nothelfer (§ 539 Abs. 1 Nr. 9 a RVO), nicht in arbeitnehmerähnlicher Weise tätig geworden.
Beteiligte
Landesamt für Besoldung und Versorgung, d. vertreten durch seinen Präsidenten … |
Tenor
1. Die Berufung des beklagten Vereins und die unselbständige Anschlußberufung des klagenden Landes gegen das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Waldshut-Tiengen vom 22.07.1999 (2 O 152/98) werden zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem klagenden Land zu 3/5, dem beklagten Verein zu 2/5 auferlegt.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Das klagende Land kann die Vollstreckung des Beklagten wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 5.200,00 DM abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Der beklagte Verein kann die Vollstreckung des klagenden Landes gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 3.400,00 DM abwenden, wenn nicht das Land vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Den Parteien wird nachgelassen, die Sicherheiten durch unbedingte, unbefristete und unwiderrufliche selbstschuldnerische Bürgschaften einer im Inland ansässigen Bank oder Sparkasse zu erbringen.
4. Die Beschwer beider Parteien übersteigt den Betrag von 60.000,00 DM.
Tatbestand
I.
Das klagende Land verlangt vom beklagten Verein aus übergegangenem Recht Ersatz der Heilbehandlungskosten und der trotz Krankheit weiterbezahlten Vergütung des Leiters des staatlichen Forstamts in S. (Dr. K.) insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Tierhalterhaftung. Dr. K. wurde von einem Rothirsch angegriffen und schwer verletzt, der aus dem vom beklagten Verein betriebenen Tiergehege entlaufen war.
Der Beklagte betreibt in S. auf der Grundlage eines Gestattungsvertrages vom 31.07.1972 mit der Staatsforstverwaltung ein Wildgehege. Der beklagte Verein hat u. a. die Kosten für die Unterhaltung des Geheges zu übernehmen, trägt die Verkehrssicherungspflicht und haftet nach § 5 des Vertrages für alle Personen- und Sachschäden, die im Zusammenhang mit der Errichtung und Unterhaltung sowie der Entfernung des Wildgeheges entstehen. Er ist verpflichtet, das klagende Land und dessen Bedienstete von allen Ansprüchen Dritter freizustellen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Gestattungsvertrag (Anlage K 1, I 17) verwiesen.
Am Sonntag, dem 15.10.1995, kämpften zwei jeweils etwa 4 Zentner schwere Rothirsche während der Brunftzeit im Gehege des Beklagten miteinander. Im Verlauf des Brunftkampfes wurde der sich in ordnungsgemäßem Zustand befindliche Zaun an einer Stelle so niedergedrückt, daß beide Tiere das Gehege verlassen konnten. Während einer der Hirsche in das Gehege zurücksprang, lief der andere, der beim Kampf Verletzungen davongetragen hatte, in Richtung St. Blasien, wo er in bewohntes Gebiet kam. Von Anwohnern verständigt, begab sich der Leiter des Staatlichen Forstamtes, Dr. K., dorthin und nahm die Verfolgung des ihm gegenüber eine größere Fluchtdistanz einhaltenden Hirsches auf. Dr. K. war mit einem Jagdgewehr bewaffnet, sah sich aber außerstande, auf den Hirsch zu schießen, da ihm die Gefährdung für unbeteiligte Dritte zu groß schien.
Zu Beginn der Verfolgung bewegte sich der Hirsch auf den befestigten Straßen des Wohngebietes, wo er aus kurzer Distanz von Neugierigen fotografiert wurde. Auf das Bild Nr. 3 auf AS. I 169 wird Bezug genommen. Von den befestigten Straßen lief der Hirsch danach auf einen oberhalb der Wohnbebauung verlaufenden Weg am Waldrand. Insoweit wird auf das Foto Nr. 1 auf AS. I 169 hingewiesen. Nachdem der Hirsch auf diesem Weg eine geraume Strecke zurückgelegt hatte, übersprang er einen Jägerzaun und lief zwischen zwei am Hang stehenden Häusern nach unten. Am unteren Ende des am Hang gelegenen Gartengrundstücks befand sich eine in den Hang eingelassene Garage, deren Dach begrünt war. Hätte der Hirsch seinen Weg in gleicher Richtung fortsetzen wollen, den er zuvor hangabwärts genommen hatte, hätte er eine etwa 2,50 m hohe Mauer hinunterspringen müssen, wodurch er auf der Klingnauer Straße gelandet wäre. Dort hatten sich zu diesem Zeitpunkt bereits Schaulustige eingefunden. Dr. K. näherte sich dem Hirsch am unteren Ende des Gartengrundstücks auf dem Garagendach bis auf eine Entfernung von etwa 2,5 bis 3 m. Unvermittelt griff der Hirsch Dr. K. an und stieß ihn mit seinem Geweih rückwärts vom Garagend...