Leitsatz (amtlich)
1. Eine Stiftung in privatrechtlicher Form ist weder aufgrund finanzieller Zuwendungen des Staates noch aufgrund ihrer Anerkennung als Einrichtung der politischen Bildung durch die Bundeszentrale für politische Bildung noch im Hinblick auf ihre staatlich anerkannte Gemeinnützigkeit daran gehindert, sich auf die Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG zu berufen.
2. Die Äußerung, jemand sei ein "erklärter Antisemit und Holocaust-Relativierer" ist keine Tatsachenbehauptung, sondern eine Meinungsäußerung. Der substanzarme tatsächliche Gehalt dieser pauschalen Bezeichnung tritt hinter das Werturteil zurück.
3. Zur Frage, wann diese Äußerung bei verständiger Beurteilung auf einem im Wesentlichen zutreffenden oder zumindest sachgerecht und vertretbar gewürdigten Tatsachenkern beruht (hier bejaht).
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Baden-Baden vom 22. Oktober 2020 - Az. 4 O 62/20 - wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen dem Kläger zur Last.
3. Dieses und das in Ziff. 1 bezeichnete Urteil des Landgerichts sind vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
A. Der Kläger begehrt von der Beklagten, es zu unterlassen, in ihrem Internetportal zu äußern, er sei ein "erklärter Antisemit und Holocaust-Relativierer".
Der Kläger ist Politiker und war [...] von 2016 bis 2021 Mitglied des Landtags von [...]. Er war bis zum 29. September 2020 Mitglied der politischen Partei [...] (nachfolgend: X).
Die Beklagte ist eine Stiftung bürgerlichen Rechts, deren Anliegen die Stärkung der demokratischen Zivilgesellschaft und der Kampf gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus ist. Sie betreibt unter anderem das Internetportal mit dem Namen "[...].News" (nachfolgend: Internetportal). Sie ist von der Bundeszentrale für politische Bildung als Träger der politischen Bildung anerkannt und finanziert sich überwiegend aus staatlichen Zuschüssen.
(1) In einer Rede auf einer öffentlichen Veranstaltung der X, über die die Zeitung "Frankfurter Rundschau" am 16.10.2016 berichtete (Anlage B 20) erklärte der Kläger:
"Es ist heute nicht einmal mehr möglich zu fragen, ob sechs Millionen Juden in den KZ umgekommen sind oder ob es vielleicht doch nur viereinhalb Millionen waren".
(2) Im Jahr 2016 war es zu einer Spaltung der X-Fraktion im Landtag von [...] gekommen. Im Zuge der Zusammenführung der X-Fraktion weigerte sich der Kläger zunächst den Zusammenführungsvertrag, dessen Präambel eine Abgrenzung von Antisemitismus und Rassismus enthielt, zu unterschreiben. Wenige Wochen später unterzeichnete er lediglich die Präambel, nicht aber den gesamten Zusammenführungsvertrag.
(3) In der [...]. Sitzung der [...]. Wahlperiode des Landtages von [...] am 07.03.2018 erklärte der Ministerpräsident [...] in einer Rede (vgl. Anlage B 22):
"Meine Damen und Herren, der Kampf gegen den Antisemitismus ist keine Folge eines schlechten Gewissens, sondern ein Gebot der Verantwortung für unsere Demokratie."
Hierauf erfolgte ein Zwischenruf des Klägers mit den Worten:
"Das ist wieder Schuldkult!"
(4) Am 06.05.2018 veröffentlichte der Kläger auf seiner Facebook-Seite zu einem Bericht des Fernsehsenders NDR, wonach die wegen Volksverhetzung verurteilte Person [...] ihre Strafhaft nicht angetreten hatte, folgenden Kommentar (Anlage B 19):
"Wer es als gerechtfertigt ansieht, wenn jemand wegen seiner Meinung ins Gefängnis kommt, ist nichts anderes als ein Faschist. Was denn sonst?"
(5) Am 27.08.2018 nahm der Kläger an einer Kundgebung der rechtspopulistischen Bürgerbewegung "Pro Chemnitz" teil, auf der auch Anhänger zahlreicher Vereinigungen demonstrierten, die auf der Unvereinbarkeitsliste der X stehen, z.B. die Rechte, der III. Weg, Junge Nationaldemokraten und die Identitäre Bewegung.
(6) Zur Gründung der parteiinternen Gruppe "Juden in der X" erklärte im Jahr 2018 Y, seinerzeit Landtagsabgeordneter und X-Mitglied:
"Im günstigsten Fall ist diese Gründung überflüssig wie ein Kropf, im ungünstigsten Fall handelt es sich um eine zionistische Lobbyorganisation, die den Interessen Deutschlands und der Deutschen zuwiderläuft."
Auf Anfrage der Zeitung "Die Welt" hierzu erklärte der Kläger, was in einem Artikel vom 08.10.2018 veröffentlicht wurde (Anlage B 15).
"Ich stehe voll und ganz hinter den Äußerungen von Herrn Y." Es könne, "nicht darum gehen, in der X immer neue Partikularinteressen zu verfolgen. Die zionistische Ideologie, also die Durchsetzung israelischer Interessen auf deutschem Boden, lehne ich ab. Es geht mir um deutsche Interessen, nicht um israelische."
(7) Im Zeitraum vom 30.11.2019 bis zum 01.12.2019 fand der [...]. Bundesparteitag der X in Braunschweig statt. Bereits im Vorfeld wurde in zahlreichen deutschen Medien über einen Antrag auf Änderung der Bundessatzung der X mit der Überschrift "Unvereinbarkeitsliste streichen" berichtet: Die Satzung der X sieht in § 2 vor, dass Personen, die Mitglied einer extremistischen Organisation nicht Mitglied der X sein können, wobei als ex...