Entscheidungsstichwort (Thema)
Benachteiligung wegen einer Behinderung bei Abschluss einer privatrechtlichen Versicherung
Leitsatz (amtlich)
1) Behinderung
a. Für die Frage, ob eine Behinderung im Sinne des AGG vorliegt, ist der sozial-rechtliche Begriff des § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX heranzuziehen. Entscheidend ist, ob sich ein Mensch in einem so definierten Zustand befindet.
b. Hiervon ist die Ursache dieses Zustands (die zugrunde liegende Krankheit) zu unterscheiden. Krankheit und Behinderung sind nicht gleichzusetzen.
2) Benachteiligung
a. Eine unmittelbare Benachteiligung wegen einer Behinderung i.S.d. § 3 Abs. 1 AGG liegt nur dann vor, wenn das Verhalten daran anknüpft, dass sich der Betroffene in einem § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX entsprechenden Zustand befindet. Hierfür genügt es regelmäßig nicht, wenn an eine Krankheit angeknüpft wird.
b. Berücksichtigt ein Versicherungsunternehmen bei seiner Entscheidung über eine privatrechtliche Versicherung eine Krankheit, die die Ursache für eine Behinderung ist, kann darin eine mittelbare Benachteiligung wegen einer Behinderung i.S.d. § 3 Abs. 2 AGG liegen.
3) Rechtfertigung
a. Für eine Ungleichbehandlung bei einer privatrechtliche Versicherung stellt § 20 Abs. 2 Satz 3 AGG die allgemeine Rechtfertigungsnorm dar, die geringere Anforderungen an eine Rechtfertigung stellt als § 20 Abs. 2 Satz 1 AGG.
b. § 20 Abs. 2 Satz 3 AGG greift auch ein, wenn ein Versicherungsunternehmen einen Vertragsabschluss ganz ablehnt.
c. Fehlt es aus nachvollziehbaren Gründen an ausreichenden statistischen Grundlagen, genügt es zur Rechtfertigung nach § 20 Abs. 2 Satz 3 AGG, wenn die Entscheidung des Versicherers auf anderen, vernünftigen und nachvollziehbaren Gründen beruht, die mit dem zu versichernden Risiko korrelieren.
Verfahrensgang
LG Offenburg (Urteil vom 13.11.2009) |
Tenor
1. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des LG Offenburg vom 13.11.2009 wird zurückgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens jeweils zur Hälfte.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Parteien streiten um Ansprüche nach dem AGG, weil die Beklagte den Abschluss einer von den Klägern beantragten privaten Krankenhauszusatzversicherung abgelehnt hat.
Der Kläger zu 1) ist der Vater des Klägers zu 2). Der Kläger zu 2) wurde am 1993 geboren wurde. Er leidet an einer myotonen Dystrophie nach Curschmann-Steinert. Das Landratsamt O. hat mit Bescheid vom 8.2.2007 festgestellt, dass der Kläger zu 2) seit dem 8.11.2006 zu 100 % behindert ist (Anlage B 2). Der Kläger zu 1) ist ebenso wie die übrigen Familienangehörigen bereits bei der Beklagten nach dem Zusatztarif 729 E versichert, der bei Krankenhausaufenthalten den Zuschlag für die Unterbringung im Zweibettzimmer sowie die Kosten einer privatärztlichen Behandlung abdeckt.
Am 31.10.2008 beantragte der Kläger zu 1) als Versicherungsnehmer bei der Beklagten den Abschluss einer Krankenhauszusatzversicherung zugunsten auch des Klägers zu 2). Dies lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 14.1.2009 ab. Darin heißt es:
Die Prüfung ergab, dass bei Herrn F. Wagniserhöhungen vorliegen, die nach den Annahmerichtlinien unserer Gesellschaft einem Vertragsschluss entgegen stehen. Den gewünschten Versicherungsschutz können wir daher leider nicht übernehmen. Wir bitten um Ihr Verständnis.
Dem ging eine E-Mail der Beklagten an den Versicherungsvermittler M. vom 5.1.2009 voraus, in der ausgeführt ist:
Vielen Dank für die Nachreichung der angeforderten Unterlagen für den Krankenversicherungsantrag von Herrn Dr. Fu für VP F..
Leider müssen wir Ihnen mitteilen, dass wir den gewünschten Versicherungsschutz für VP F. nach Tarif 729 E aus folgenden Gründen nicht übernehmen können:
- die Erkrankung "myotone Dystrophie (Curschmann-Steinert)" ist nicht versicherbar.
Diese Erkrankung weist eine schwere Vorschädigung auf, die wir nicht absichern können.
Hinsichtlich der übrigen tatsächlichen Feststellungen wird auf das Urteil des LG Offenburg vom 13.11.2009 Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Das LG hat die Klage abgewiesen.
Die Kläger meinen, eine Rechtfertigung komme im Streitfall nur nach § 20 Abs. 2 Satz 3 AGG in Betracht. Soweit § 20 Abs. 1 AGG eine unterschiedliche Behandlung schon dann als gerechtfertigt erscheinen lasse, wenn ein sachlicher Grund vorliege, verkenne das LG, dass § 20 Abs. 2 AGG nach seinem Wortlaut und Sinn und Zweck für privatrechtliche Versicherungsverträge eine abschließende Sonderregelung schaffe. Mithin könne ein Abschluss eines Versicherungsvertrags nur abgelehnt werden, wenn dies auf anerkannten Prinzipien risikoadäquater Kalkulation beruhe.
Die unstreitig bestehende Wagniserhöhung rechtfertige es nicht, den Vertragsabschluss zu verweigern. Es treffe nicht zu, dass diese zu einer überbordenden Kostenbelastung der Beklagten führen könne. Die Beklagte habe eine versicherungsmathematisch ermittelte Risikobewertung nicht vorgenommen. Auch wenn dies mangels ausreichenden statistischen Materials nicht möglich sei, rech...