Leitsatz (amtlich)
1. Die Frage, ob und in welchen Fällen zur wirksamen Vertretung des Kindes eine behördliche oder gerichtliche Genehmigung erforderlich ist, unterfällt dem Statut der elterlichen Sorge/Verantwortung.
2. Ist auf die elterliche Sorge Art. 16 KSÜ anzuwenden, regelt das danach berufene Recht (des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes) gemäß Art. 17 KSÜ die Ausübung der elterlichen Verantwortung und damit den materiell-rechtlichen Inhalt der jeweiligen elterlichen Verantwortung. Dem unterfällt auch die Frage, ob die Eltern für ihr Kind eine Erbschaft ausschlagen dürfen bzw. müssen.
3. Die Genehmigung einer entsprechenden Ausschlagungserklärung ist hingegen als eigenständige Schutzmaßnahme im Sinne des KSÜ anzusehen. Dies hat zur Folge, dass das befasste Gericht die Genehmigung gemäß Art. 15 Abs. 1 KSÜ grundsätzlich nach den Vorschriften seiner lex fori erteilt. Die Fragen des Erfordernisses sowie der materiellen Voraussetzungen einer solchen Genehmigung unterfallen folglich dem Recht des gewöhnlichen Aufenthalts der betroffenen Kinder (vgl. Art. 5 Abs. 1 KSÜ sowie Art. 8 Abs. 1 EuEheVO).
4. Allerdings erlaubt Art. 15 Abs. 2 SKÜ das Absehen von der Anwendung des eigenen Rechts bzw. eine Berücksichtigung des fremden Rechts, wenn nur hierdurch ein wirksamer Schutz des in einem anderen Staat belegenen Vermögens des Kindes erzielt werden kann. Die Praxis der polnischen Gerichte, in jedem Fall die gerichtliche Genehmigung der Erbausschlagung eines Kindes zu verlangen, stellt einen Anwendungsfall dieser Regelung dar.
5. Allerdings verbleibt es auch bei Anwendung von Art. 15 Abs. 2 KSÜ auf die Frage der Genehmigungsbedürftigkeit der Ausschlagung hinsichtlich der materiellen Voraussetzungen für die Erteilung einer solchen Genehmigung in jedem Fall bei der Anwendbarkeit deutschen Rechts.
6. Ist ein Kind nur deshalb als Erbe in Betracht gekommen, weil ein Elternteil die Erbschaft zuvor ausgeschlagen hatte, ist fast mit Gewissheit anzunehmen, dass die Erbschaft auch für das nächstberufene Kind ohne Vorteil sein würde und daher eine Benachteiligung des Kindes durch eine Erbausschlagung nicht zu besorgen ist.
Normenkette
KSÜ Art. 5 Abs. 1, Art. 15 Abs. 1-2, Art. 16-17
Verfahrensgang
AG Trier (Beschluss vom 01.06.2017; Aktenzeichen 41a F 117/17) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin vom 14. Juni 2017 wird der mit "Negativattest" überschriebene Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Trier vom 1. Juni 2017 aufgehoben.
Die von Frau [...] als gesetzliche Vertreterin für [...], geboren am [...] 2002, sowie für [...], geboren am [...] 2004, gemäß Niederschrift des Amtsgerichts Trier vom 9. August 2017 (Aktenzeichen: [...]) erklärte Ausschlagung der Erbschaft nach Frau [...], geboren am [...] 1946 und verstorben am [...] 2015, zuletzt wohnhaft in [...], Republik Polen, wird familiengerichtlich genehmigt.
Gerichtskosten für das Verfahren beider Instanzen werden nicht erhoben; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I. Die Antragstellerin ist die allein sorgeberechtigte Mutter der Betroffenen. Durch Erbausschlagung ihrer Mutter wurde sie Erbin der am 12. Dezember 2015 verstorbenen [...], die zuletzt in der Republik Polen wohnhaft war. Am 8. Februar 2017 gab die Antragstellerin vor dem Generalkonsulat der Republik Polen in [...] ebenfalls eine Erklärung über die Ausschlagung des Erbes der [...] ab; diese Erklärung ging fristgemäß beim zuständigen Nachlassgericht ein.
Infolge der Erbausschlagungserklärung ihrer Mutter kommen nun die Betroffenen als Erben der [...] in Betracht. Die Antragstellerin hat dem Amtsgericht Trier gegenüber vorsorglich zum Zwecke der Fristwahrung eine entsprechende Ausschlagungserklärung für die Betroffenen abgegeben. Auch andere Familienmitglieder, zu denen seitens der Antragstellerin kein Kontakt besteht, hatten zuvor die hier in Rede stehende Erbschaft ausgeschlagen.
Die Antragstellerin hat beantragt,
ihr die Genehmigung für die Erklärung der Ausschlagung der Erbschaft der am [...] 2015 in [...] (Republik Polen), zuletzt wohnhaft in [...] (Republik Polen), verstorbenen [...] für ihre als gesetzliche Erben der [...] in Betracht kommenden Kinder:
1. [...],
2. [...],
zu erteilen.
Sie trägt vor,
es könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Nachlass der [...] überschuldet sei. Der Nachweis dieser Tatsache gestalte sich schwierig und könne nur in einem kostenintensiven Inventurverfahren erbracht werden. Alle ihr bekannten Familienangehörigen gingen indes von einer Überschuldung des Nachlasses aus und hätten aus diesem Grunde die Erbschaft ausgeschlagen. Zudem habe die Erblasserin zuletzt in einer Sozialeinrichtung für die Pflege vermögensloser Menschen gelebt.
Das polnische Recht fordere im Falle einer Erbausschlagung für einen Minderjährigen ausnahmslos die familiengerichtliche Genehmigung der Erklärung. Polnische Gerichte lehnten indes in ständiger Entscheidungspraxis Anträge bezüglich im Ausland wohnhafter Kinder unter Verweis auf ihre internationale und örtliche Unzuständigkeit ab....