Entscheidungsstichwort (Thema)
Verkehrssicherungspflicht des Arbeitgebers im Umfeld seines Betriebsgeländes
Leitsatz (amtlich)
1. Weist eine Gemeindesatzung dem Arbeitgeber als Grundstückseigentümer die allgemeine Verpflichtung zu, nachts gefallenen Schnee und entstandene Glätte auf den öffentlichen Gehwegen rund um das Firmengelände an Werktagen bis 7 Uhr zu beseitigen, kann sich daraus bereits nachts eine Räum- und Streupflicht ergeben, wenn wegen des festgelegten Arbeitsbeginns Fußgängerverkehr von Betriebsangehörigen zu erwarten ist.
2. Hat sich der Verletzte zum Zeitpunkt des Unfalls noch nicht im Gefahrenbereich des Betriebes bewegt, kommt dem Arbeitgeber das Haftungsprivileg des § 104 Abs. 1 SGB VII nicht zugute.
Normenkette
BGB §§ 249, 253-254, 276, 823, 831; LStrG RP § 17; SGB VII § 8 Abs. 2 Nr. 1, § 104 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Koblenz (Urteil vom 24.11.2014; Aktenzeichen 15 O 325/14) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 15. Zivilkammer des LG Koblenz vom 24.11.2014 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Dieses Urteil und der hiesige Beschluss sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die gegen sie gerichtete Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht von der Gegenseite Sicherheit i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrags gestellt wird.
Gründe
A. Die Entscheidung ergeht gem. §§ 522 Abs. 2, 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Ihre sachlichen Grundlagen ergeben sich aus dem Tatbestand des angefochtenen Urteils und dem Senatsbeschluss vom 25.3.2015. Dort hat der Senat mitgeteilt:
"1. Die Klägerin ist im Metzgerbetrieb der Beklagten als Fleischereifachverkäuferin tätig. Als sie sich am 24.12.2010 morgens gegen 5 Uhr zu ihrer Arbeitsstelle begab, rutschte sie vor dem Betriebstor aus und kam zu Fall. Ihrem Vorbringen nach zog sie sich dabei eine linksseitige Oberarmschaftfraktur zu, die unter Verwendung von Knochenersatzmaterial aus dem rechten Unterschenkel versorgt und mehrfach nachoperiert werden musste. Sie sieht sich in ihrer Beweglichkeit und Belastbarkeit dauerhaft behindert.
Für das Geschehen hat sie die Beklagte verantwortlich gemacht, weil diese ihrer Verkehrssicherungspflicht nicht genügt habe. Die Unfallstelle sei entsprechend der allgemein bekannten Wetterlage glatt und vereist gewesen, ohne dass dagegen Vorkehrungen getroffen worden seien. Daher sei die Beklagte zur Zahlung eines mit mindestens 40.000 EUR zu beziffernden Schmerzensgeldes zu verurteilen und ihre weiter gehende Haftung festzustellen.
Die Beklagte hat eine erhebliche Rutschgefahr bestritten und darauf verwiesen, dass sie einen - regelmäßig früher als die Klägerin vor Ort anwesenden - Mitarbeiter mit dem Streudienst beauftragt habe. Unabhängig davon hat sie einen Mitverschuldenseinwand erhoben, weil die Klägerin nicht den gegenüberliegenden Betriebseingang benutzt habe, vor dem das Gelände weniger abschüssig gewesen sei. Darauf hat die Klägerin repliziert, dieser Eingang sei durchweg erst später am Tage geöffnet worden; außerdem habe die Beklagte Anweisung erteilt, das streitige Betriebstor zu wählen, und auch den Arbeitsbeginn festgelegt.
Der Prozess ist zunächst vor dem ArbG geführt worden. Dieses hat ihn mit der Begründung, der Unfall habe keinen hinreichenden Bezug zum Arbeitsverhältnis der Klägerin, da er sich auf der öffentlichen Straße ereignet habe, an das LG verwiesen. Dort ist - nach der Vernehmung mehrerer Zeugen - die Schadensverantwortlichkeit der Beklagten dem Grunde nach bejaht worden. Aus der Sicht des LG hat die Beklagte ihre Fürsorgepflicht aus dem Arbeitsverhältnis verletzt. Sie habe für die Unfallzeit keine hinreichenden Maßnahmen zur Verkehrssicherung vor dem streitigen Betriebstor durchgeführt, obwohl sie die Gefahrenlage habe voraussehen können. Ein Mitverschulden sei der Klägerin nicht anzulasten und es gebe auch keinen Haftungsausschluss unter sozialgesetzlichen Gesichtspunkten.
Dagegen wendet sich die Beklagte mit der Berufung und erstrebt die Abweisung der Klage.
Ihrer Auffassung nach bestand zur frühmorgendlichen Unfallzeit noch keine allgemeine Verpflichtung, Vorkehrungen gegen Glätte zu treffen. Allenfalls die dienstvertragliche Beziehung zur Klägerin habe dazu Anlass geben können. Pflichtverletzungen in diesem Zusammenhang seien indessen mangels Vorsatzes nicht haftungsbegründend. Unabhängig davon treffe die Klägerin ein Mitverschulden an ihrem Sturz. Diese sieht die Dinge anders und verteidigt das erstinstanzliche Entscheidungsergebnis.
2. Die Rechtsmittelangriffe vermögen nicht durchzudringen. Das LG hat das Schmerzensgeldverlangen zutreffend als dem Grunde nach gerechtfertigt erachtet und demgemäß wegen der noch nicht abschließend überschaubaren Schadenslage auch den darüber hinausreichenden Feststellungsantrag für begründet erklärt.
Der streitige Sturz der Klägerin hat seine Ursache in einer schuldhaften Verkehrs- sicherungspflichtverletzung der Beklagten und deshalb deren allgemeine deliktrechtliche Ers...