Entscheidungsstichwort (Thema)
Schadensersatz einer Rechtsanwaltskanzlei aus schuldhafter Pflichtverletzung in einem nachvertraglichen Schuldverhältnis (culpa post contractum finitum)
Leitsatz (amtlich)
1. Die außergerichtliche Geltendmachung unberechtigter Forderungen in einem bestehenden Schuldverhältnis ist pflichtwidrig. Dies stellt eine Verletzung der den Parteien obliegenden Rücksichtnahmepflichten im Sinne von § 241 Abs. 2 BGB dar (in Anknüpfung an BGH, Urteil vom 16.01.2009 - V ZR 133/08 - NJW 2009, 1262 ff., juris Rn. 16). Rücksichtnahmepflichten aus § 241 Abs. 2 BGB sind zeitlich nicht auf das Bestehen des Schuldverhältnisses beschränkt, sondern wirken auch auf die Zeit nach Beendigung des Vertragsverhältnisses.
2. Der Mandant einer Rechtsanwaltskanzlei verstößt gegen die Grundsätze der Rücksichtnahme aus dem Schuldverhältnis, wenn er einen unberechtigten Anspruch geltend gemacht hat, der die Rechtsanwaltskanzlei berechtigte zur Abwehr dieser Forderung sich anwaltlicher Hilfe zu bedienen (in Anknüpfung an BGH, Urteil vom 16.01.2009 - V ZR 133/08 - BGHZ 179, 238 ff. = NJW 2009, 1262 ff., zitiert nach juris Rn. 8, 16, 17). Maßgebend ist dabei nicht das bloße Berühmen eines Anspruchs, sondern die Geltendmachung desselben.
Normenkette
BGB § 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1, §§ 286, 288 Abs. 1, §§ 675, 823 Abs. 2; RVG §§ 13-14; StGB §§ 22, 23 Abs. 1, § 240; ZPO § 92 Abs. 1 S. 1, § 97 Abs. 1, § 269 Abs. 3, § 708 Nr. 10, § 711
Verfahrensgang
LG Koblenz (Aktenzeichen 15 O 99/17) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen das Urteil der 15. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 18.04.2018, Az. 15 O 99/17, dahingehend abgeändert, dass der Beklagte verurteilt wird, an die Klägerin 1.044,40 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.11.2016 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens tragen die Klägerin zu 2/3 und der Beklagte zu 1/3.
Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin zu 99/100 und der Beklagte zu 1/100.
Das vorbezeichnete Urteil und dieses Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Beiden Parteien bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe in Höhe von 115 % der aufgrund der Urteile vollstreckbaren Beträge abzuwenden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I. Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Schadensersatz wegen ihr gegenüber unberechtigt erhobener Forderungen in Anspruch.
Die Klägerin ist eine Rechtsanwaltspartnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Haftung. Zwischen der Klägerin und dem Beklagten bestand ein mehrjähriges Mandatsverhältnis. Im Rahmen dieses Anwaltsvertrages war die Klägerin mit der Beratung und Prozessvertretung des Beklagten bezüglich mehrerer Rechtsstreitigkeiten anlässlich eines Bauvorhabens in Lahnstein befasst.
Der Beklagte begann nach Abschluss des Verfahrens und Beendigung des Mandatsverhältnisses an das Büro der Klägerin Schreiben zu übersenden, in denen er eine fehlerhafte Beratung und zahlreiche anwaltliche Pflichtverletzungen der Klägerin behauptete.
Mit handschriftlichem Fax vom 26.08.2015 hielt der Beklagte in diesem Zusammenhang erstmals einen angeblichen Schuldenstand des damals sachbearbeitenden Rechtsanwalts Christoph S. in Höhe von 5.372.654,00 EUR fest. Der Beklagte erhöhte mit Faxnachricht vom 28.08.2015 diesen Schuldenstand auf 6.235.122,84 EUR (vgl. Anlage K 2, Bl. 24 ff. d. A.).
Nach Zugang dieses Faxschreibens wandte sich die Klägerin am selben Tag schriftlich an den Beklagten und fragte an, ob sie dessen Faxnachricht richtig dahingehend interpretiere, dass dieser von der Klägerin Schadensersatz in der bezeichneten Höhe fordere. Gleichzeitig teilte sie in diesem Schreiben mit, dass sie beabsichtige, ihre Haftpflichtversicherung zu informieren (vgl. Anlage K 1, Bl. 23 d. A.).
Der Beklagte erwiderte daraufhin mit handschriftlichem Fax vom 01.09.2015 (vgl. Anlage K 2, Bl. 24 ff. d. A.), dass die vorgenannte Summe von 6.235.122,84 EUR bei weitem nicht die Endsumme sei und erklärte, der neue Schuldenstand belaufe sich auf 7.384.260,40 EUR. Außerdem wies er daraufhin, dass der Klägerin alle Kosten, Vermögensverluste und Schadensersatzansprüche juristisch aufbereitet schnellstens durch Rechtsanwalt Matthias Schaefer zugehen würden. Rechtsanwalt Sch. werde weitere Schäden zurzeit erarbeiten und der Klägerin mitteilen. In einem weiteren Fax des Beklagten vom 03.09.2015 war dann von einem Vermögensschaden in Höhe von 8.813,24 EUR die Rede (vgl. Anlage K 3, Bl. 28 f. d. A.). Der Beklagte übersandte der Klägerin am selben Tag ein weiteres Fax an seinen damaligen Rechtsanwalt Matthias Sch. zur Kenntnis, indem er davon sprach, dass die 20-Millionen-Grenze überschritten sei (vgl. Anlage K 4, Bl. 30 d. A.).
Am 17.09.2015 übersandte Rechtsanwalt Matthias Sch. der Klägerin ein Schreiben (vgl. Anlage K 5, Bl. 31 ff. d. ...