Leitsatz (amtlich)
1. Angesichts einer als nicht unzweifelhaft und nicht eindeutig einzustufenden europarechtlichen Gesetzeslage kann der Einbau eines "Thermofensters" durch den Hersteller eines mit einem Dieselmotor ausgestatteten Fahrzeugs nicht als sittenwidrige Schädigung des Fahrzeugerwerbers bewertet werden.
2. Übersteigt die Laufleistung des Fahrzeugs die durchschnittlich zu erwartende Gesamtlaufleistung von 250.000 km, zehrt die anzurechnende Nutzungsentschädigung einen eventuell bestehenden Schadensersatzanspruch des Fahrzeugkäufers in vollem Umfange auf.
Verfahrensgang
LG Mainz (Aktenzeichen 5 O 380/18) |
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Mainz vom 06.03.2019, Az. 5 O 380/18, wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Dieses Urteil und das angegriffene landgerichtliche Urteil sind vorläufig ohne Sicherheitsleistung vollstreckbar.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin - gestützt auf eine deliktische Haftung der Beklagten - im Wege des Schadensersatzes die Rückzahlung des Kaufpreises für den Erwerb eines nach ihrer Auffassung von dem sogenannten "Diesel Abgasskandal" betroffenen Gebrauchtfahrzeugs unter Anrechnung einer Entschädigung für die zwischenzeitlich erfolgte Nutzung des Fahrzeugs, Zug um Zug gegen dessen Aushändigung an die Beklagte.
Die Klägerin erwarb Ende Juni 2017 bei der Mercedes-Benz-Niederlassung in M. ein gebrauchtes Fahrzeug des Typs Mercedes-Benz A 180 CDI zu einem Preis von 15.490,00 EUR. Im Erwerbszeitpunkt wies das Fahrzeug eine Laufleistung von 79.800 km auf. Das Fahrzeug der Klägerin verfügt werkseitig über einen mit Dieselkraftstoff betriebenen Motor der Baureihe "OM 651", für den die Typgenehmigung nach VO [EG] Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.06.2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (im Folgenden: VO [EG] Nr. 715/2007) erteilt wurde. Bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug erfolgt die Stickoxidemission über die sogenannte Abgasrückführung (AGR), bei der ein Teil der Abgase zurück in das Ansaugsystem des Motors geführt wird und dort erneut an der Verbrennung teilnimmt. Der Grad der Abgasrückführung bemisst sich insoweit auch in Abhängigkeit von der Außentemperatur, wobei zwischen den Parteien streitig ist, bei welchen Außen-/Ladelufttemperaturen die Abgasrückführung reduziert wird (sog. "Thermofenster").
Die Klägerin hat in erster Instanz vorgetragen, die Beklagte habe u.a. auch in dem hier streitgegenständlichen Fahrzeug eine Software eingesetzt, die bewirke, dass bei Tests Messwerte erreicht würden, die unter den tatsächlichen Emissionswerten lägen und die gesetzlichen Vorgaben und Grenzwerte auf dem Prüfstand einhielten, während im normalen Fahrbetrieb die gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte nicht erreicht würden. Die Beklagte habe damit aus reinem Gewinnstreben gezielt Umweltvorgaben umgangen und die Kaufentscheidung ihrer Kunden manipulativ beeinflusst, die Wettbewerber benachteiligt und die Umwelt geschädigt, so dass Gesundheitsgefahren drohten.
Die Klägerin hat in erster Instanz beantragt, die Beklagte zu verurteilen,
an sie 11.152,80 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung zu zahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Mercedes-Benz A 180 CDI, FIN WDD...;
an sie vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 958,19 EUR zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivorbringens und der Sachverhaltsdarstellung im Übrigen wird auf die Feststellungen in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO).
Mit am 06.03.2019 verkündetem Urteil hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Klägerin stünden weder Ansprüche auf vertraglicher noch auf deliktischer Grundlage zu. Ein etwaiger, durch den Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung verursachter Vermögensschaden der Klägerin sei jedenfalls nicht von dem Schutzzweck der damit verletzten Verordnungsvorschrift (VO [EG] Nr. 715/2007) gedeckt.
Unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens wendet sich die Klägerin mit der Berufung gegen das landgerichtliche Urteil und verfolgt ihr in erster Instanz geltend gemachtes Klagebegehren weiter. Sie trägt insoweit vor, die Beklagte habe in dem streitgegenständlichen Fahrzeug ein sogenanntes "Thermofenster" verbaut, das dafür sorge, dass zumindest bei einer Temperatur unter 7 °C die Abgasreinigung "ausgeschaltet" werde.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Landgerichts Mainz vom 06.03.2019 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen,
an sie 11.152,80 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssat...