Leitsatz (amtlich)
1. Im Inverkehrbringen eines Fahrzeugs, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen ist, kann eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung liegen.
2. Bei einer in Form eines sog. Thermofensters die Abgasreinigung beeinflussenden Motorsteuerungssoftware, die vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeitet wie auf dem Prüfstand und bei der Gesichtspunkte des Motorschutzes als Rechtfertigung ernsthaft angeführt werden, kann nicht ohne weiteres angenommen werden, dass der Hersteller in dem Bewusstsein gehandelt hat, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden.
3. Macht der Käufer eines Diesel-Pkw gegenüber dem Hersteller Schadensersatzansprüche wegen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung geltend, muss er konkret darlegen, dass im Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs ein bestimmtes Konstruktionsteil vorhanden ist (dabei kann es sich auch um eine Software handeln), dass in bestimmten, konkret darzulegenden Umwelt- oder Fahrsituationen die Abgasreinigung abgeschaltet wird und dass diese Abschaltung nicht notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten.
Verfahrensgang
LG Mainz (Aktenzeichen 9 O 78/18) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das am 01.02.2019 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 5. Zivilkammer des Landgerichts Mainz, Az.: 9 O 78/18, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil sowie das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund der Urteile insgesamt vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger begehrt von der Beklagten Schadensersatz aus Delikt aus einem Leasingvertrag im Zuge des sogenannten "Abgasskandals". Im Mai 2017 leaste der Kläger bei der M. Leasing GmbH ein von der Beklagten hergestelltes Neufahrzeug Mercedes Benz E 350 T CDI Fahrzeugidentifikationsnummer: WDDxxxxxxxxx. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Leasingvertrag (Anlage K1 zur Klageschrift vom 25.04.2018) Bezug genommen. Das Fahrzeug ist mit einem Motor OM 642 LSDE30LA der Schadstoffklasse Euro 6 ausgestattet.
Die Kontrolle der Stickoxidemission erfolgt im streitgegenständlichen Fahrzeug über die sogenannte Abgasrückführung (AGR). Bei der Abgasrückführung wird ein Teil des Abgases zurück in das Ansaugsystem des Motors geführt und nimmt erneut an der Verbrennung teil. Die Abgasrückführung wird bei kühleren Temperaturen zurückgefahren, wobei zwischen den Parteien streitig ist, bei welchen Außen-/Ladelufttemperaturen die Abgasrückführung reduziert wird (sog. "Thermofenster").
Das streitgegenständliche Fahrzeug verfügt ferner über ein sogenanntes SCR-System, also Abgaskatalysatoren, die Stickoxide reduzieren können. Bei diesem System wird dem Abgas eine wässrige Harnstofflösung ("AdBlue") beigemischt. Diese Harnstofflösung reagiert chemisch mit den Abgasen, wodurch beide Arten von Gasen zu ungefährlichen Substanzen abgebaut werden. Die Verwendung von SCR Katalysatoren funktioniert dabei nur, wenn dem Abgas eine passende Menge Harnstoff beigemischt wird.
Das Fahrzeug ist von einem amtlichen Rückruf durch das Kraftfahrtbundesamt (KBA) betroffen. Gegen den diesbezüglichen Bescheid vom 03.08.2018 hat die Beklagte Widerspruch eingelegt.
Mit Anwaltsschreiben vom 16.03.2018 (Anlage K 10 zur Klageschrift vom 25.04.2018) forderte der Kläger die Beklagte unter Fristsetzung bis zum 05.04.2018 auf, ihm Zug um Zug gegen die Rückgabe des ursprünglichen Fahrzeugs einen vergleichbaren Pkw wie Mercedes Benz E 350 CDI aus der aktuellen Serienproduktion mit den kaufvertraglich vereinbarten Eigenschaften nebst Sonderausstattung zu liefern, der im Hinblick auf die vorgeschriebenen Abgaswerte die gesetzlichen Anforderungen erfülle, insbesondere keine Abschalteinrichtung enthalte.
Der Kläger hat vorgetragen,
bei seinem Fahrzeug würden die tatsächlichen NOx-Werte den zugelassenen Wert von 80 mg/km und den in der EG-Übereinstimmungsbescheinigung zugesicherten Wert deutlich übersteigen. Dies sei darauf zurückzuführen, dass die Abgasreinigung nur bei einer Außentemperatur von 23 Grad Celsius, die während des Durchfahrens des neuen europäischen Fahrzyklus (NEFZ) bestehe, optimal funktioniere und außerhalb dieses Thermofensters drastisch reduziert bzw. bei einer Temperatur von unter 17 Grad vollständig deaktiviert werde, mit der Folge, dass die Stickoxidemissionen erheblich anstiegen. Der Kläger vertritt die Auffassung, dass es sich bei dem sog. "Thermofenster" um eine verbotene Abschaltvorrichtung im Sinne des Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 handele. Abschalteinrichtungen seien grundsätzlich rechtswidrig. ...