Leitsatz (amtlich)
1. Die Eigenschaft als verantwortlicher Tierhalter i.S.d. § 833 Satz 1 BGB bestimmt sich im konkreten Einzelfall nach einer Gesamtschau der tatsächlichen Umstände. Zu fragen ist nach der Zuordnung des Tieres zur Lebens- und Wirtschaftssphäre einer bestimmten Person zum Zeitpunkt des Schadensfalls, wobei Eigeninteresse und Herrschaftsmacht regelmäßig entscheidende Bedeutung gewinnen; Eigentum oder Eigenbesitz sind nicht maßgebend.
2. Tierhalter können auch mehrere Personen gemeinsam sein, etwa eine Ehe- oder Lebensgemeinschaft.
3. Die Darlegungs- und Beweislast im Hinblick auf die Haltereigenschaft trifft nach allgemeinen Grundsätzen den Geschädigten; die Grundsätze der sekundären Darlegungslast finden auf den Tierhalter Anwendung.
Normenkette
BGB § 833 S. 1; ZPO § 138 Abs. 2-3
Verfahrensgang
LG Koblenz (Urteil vom 28.08.2012; Aktenzeichen 9 O 115/11) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Einzelrichters der 9. Zivilkammer des LG Koblenz vom 28.8.2012 und das zugrunde liegende Verfahren aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LG zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens bleibt dem LG vorbehalten. Gerichtskosten für das Verfahren im zweiten Rechtszug werden nicht erhoben.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Der Kläger verfolgt Schadensersatzansprüche aus Tierhalterhaftung.
Es wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).
Das LG hat mit Urteil vom 28.8.2012 (Bl. 157 ff. GA) die Klage abgewiesen; hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers.
Der Kläger rügt, dass das LG verfahrensfehlerhaft nicht sämtliche von den Parteien vorgelegte Beweismittel ausgewertet und in der Folge ihm, dem Kläger, rechtsfehlerhaft die Beweislast hinsichtlich der Haltereigenschaft der Beklagten überbürdet habe. Ihre Eigenschaft als Halterin der Schäferhündin "N." habe die Beklagte zunächst gar nicht bestritten gehabt; mit der Klageerwiderung habe sie vielmehr selbst eine fachliche Stellungnahme des Polizeipräsidiums Koblenz vorgelegt, in dem sich ihre Haltereigenschaft - zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Vorfalls - ausdrücklich bestätigt gefunden habe. Erstmals im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 17.4.2011 habe die Beklagte - prozessual verspätet - die Haltereigenschaft ohne Beweisantritt und unsubstantiiert bestritten; das vorgelegte "Rasse-Echtheitszertifikat" entfalte keine Aussagekraft.
Der Kläger beantragt, das Urteil des LG Koblenz vom 28.8.2012 aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das LG zurückzuverweisen; - hilfsweise - das Urteil des LG Koblenz vom 28.8.2012 abzuändern und die Beklagte nach den Schlussanträgen im ersten Rechtszug zu verurteilen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil in prozessualer wie materieller Hinsicht. Zum einen habe sie nachgewiesen, dass ihr Ehemann der Halter der Schäferhündin sei; die fachliche Stellungnahme des Poilzeipräsdiums habe hier keine Bedeutung, da ihre dementsprechenden "laienhaften" Angaben ohne vorausgegangene Erläuterung des Halterbegriffs aufgenommen worden seien. Zum anderen habe der Kläger keine weiter gehenden Beweisangebote getätigt und einen tauglichen Nachweis dafür, dass sie, die Beklagte, entgegen ihres Bestreitens gleichwohl Hundehalterin sei, nicht erbracht.
II. Die - zulässige - Berufung führt zur Zurückverweisung der Streitsache in den ersten Rechtszug.
Das Erkenntnisverfahren des LG leidet an einem wesentlichen Verfahrensmangel, auf Grund dessen eine aufwendige Beweisaufnahme notwendig ist (§ 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO).
Das LG hat auf den - erstmals im Termin zur Beweisaufnahme gehaltenen und zudem im Widerspruch zum bisherigen Verteidigungsvorbringen stehenden - schlichten Einwand der Beklagten, nicht sie, sondern ihr Ehemann sei der Hundehalter, die Klage unter Hinweis auf die Darlegungs- und Beweislast des Klägers als Geschädigten abgewiesen. Damit hat das LG indessen die im Streitfall eingreifenden Grundsätze der sekundären Darlegungslast außer Acht gelassen und die gebotene weitere Aufklärung des Streitstandes verfahrensfehlerhaft unterlassen.
a) Die Eigenschaft als verantwortlicher Tierhalter i.S.d. § 833 Satz 1 BGB bestimmt sich im konkreten Einzelfall nach einer Gesamtschau der tatsächlichen Umstände. Zu fragen ist nach der Zuordnung des Tieres zur Lebens- und Wirtschaftssphäre einer bestimmten Person zum Zeitpunkt des Schadensfalls, wobei Eigeninteresse (Nutzungs- und Unterhaltungswillen) und Herrschaftsmacht regelmäßig entscheidende Bedeutung gewinnen; Eigentum oder Eigenbesitz sind nicht maßgebend (vgl. BGH NJW-RR 1988, 655, 656; Spindler in Bamberger/Roth, BGB, 3. Aufl. 2012, § 833 Rz. 12). Tierhalter können auch mehrere Personen gemeinsam sein, etwa eine Ehe- oder Lebensgemeinschaft (OLG Nürnberg VersR 1964, 1178 f.; Spindler, a.a.O., Rz. 15). Die Darlegungs- und Beweislast im Hinblick auf die Halte...