Entscheidungsstichwort (Thema)
Mutwilligkeit und mangelnde Substanziierung im selbständigen Beweisverfahren bei Arzthaftung
Leitsatz (amtlich)
1. Es ist nicht grundsätzlich mutwillig, für ein selbständiges Beweisverfahren in einer arzthaftungsrechtlichen Streitigkeit Prozesskostenhilfe zu beantragen.
2. Ein Antrag auf selbständiges Beweisverfahren ist wegen mangelnder Substanziierung zurückzuweisen, wenn die gestellten Fragen jeglichen Bezug zu dem konkreten Fall vermissen lassen, sich vielmehr als ein für jedweden Arzthaftungsfall passendes Formular darstellen, und im Übrigen nur ein Verweis auf einen von dem Patienten selbst verfassten "Erfahrungsbericht" erfolgt, bei dem sich Gericht oder Sachverständiger die sich stellenden konkreten Fragen selbst heraussuchen müssen.
Normenkette
ZPO §§ 114, 485, 487
Verfahrensgang
LG Bonn (Beschluss vom 10.03.2016; Aktenzeichen 9 OH 14/15) |
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der 9. Zivilkammer des LG Bonn vom 10.3.2016 (9 OH 14/15) wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
Die Beschwerde gegen den Beschluss der Kammer, die der Antragstellerin Prozesskostenhilfe für ein beabsichtigtes selbständiges Beweisverfahren versagt hat, durch das sie den Beweis für einen standardwidrigen ärztlichen Eingriff an der Wirbelsäule und einen dadurch bewirkten Gesundheitsschaden führen möchte, ist zulässig, im Ergebnis jedoch nicht begründet.
1. Prozesskostenhilfe kann nach ganz herrschender Meinung, insbesondere der weit überwiegenden Rechtsprechung (OLG Köln MDR 2010, 169; OLG Naumburg MDR 2010, 403; OLG Stuttgart MDR 2010, 169; OLG Saarbrücken, MDR 2003, 1436; OLG Oldenburg MDR 2002, 910; OLG Hamm FamRZ 2000, 1023 u. v. a. m.; Zöller-Geimer § 114 Rn. 2 und Rn. 42 m.w.N.), grundsätzlich auch für ein selbständiges Beweisverfahren bewilligt werden. Dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist stattzugeben, wenn dem Antrag auf Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens voraussichtlich stattzugeben ist (OLG Saarbrücken MDR 2003, 1436). Der Antragsteller muss dabei nicht darlegen, warum er nicht sofort Klage erhebt oder ob und wann er Klage erheben will (LG Stade MDR 2004, 469) und es ist auch nicht von Bedeutung, ob die später beabsichtigte Klage im Hauptverfahren aussichtsreich ist (OLG Stuttgart MDR 2010, 169).
2. Es ist auch nicht generell mutwillig, wenn ein Patient, der aufgrund seiner wirtschaftlichen Verhältnisse nicht in der Lage ist, die Prozesskosten ganz oder teilweise selbst aufzubringen, zunächst den Weg eines selbständigen Beweisverfahrens beschreitet. Mutwilligkeit liegt vor, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht (§ 114 Abs. 2 ZPO). Wie der BGH durch Beschluss vom 24.9.2013 (- VI ZB 12/13 - BGHZ 198, 237 ff.) im Rahmen einer Grundsatzentscheidung und in Fortentwicklung seiner Entscheidung vom 21.1.2003 (-VI ZB 51/02 - BGHZ 153, 302 ff) eindeutig entschieden hat, kommt im Arzthaftungsverfahren eine Klärung von haftungsrechtlich maßgeblichen Gründen durch einen Sachverständigen im Rahmen eines selbständigen Beweisverfahrens immer in Betracht, wenn die Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann. Dies gilt selbst dann, wenn für eine abschließende Klärung weitere Aufklärungen erforderlich erscheinen. Es gilt auch dann, wenn der Antragsgegner deutlich macht, sich den Feststellungen eines Sachverständigen im selbständigen Beweisverfahren nicht beugen zu wollen, also von seiner Seite aus ein Rechtsstreit unvermeidlich sein wird. Es gilt schließlich sogar im Hinblick auf Beweisfragen, die - wie die Frage, ob ein Behandlungsfehler als grob einzustufen wäre - letztlich richterlicher Wertung unterliegen. Damit hat der BGH die zuvor in den Instanzgerichten stark umstrittene Zulässigkeit des selbständigen Beweisverfahrens in Arzthaftungsstreitigkeiten im Sinne einer denkbar weiten Zulässigkeit des selbständigen Beweisverfahrens geklärt (vgl. hierzu etwa Katzenmeier, LMK 2014, 66 ff.; Laumen, MedR 2015, 12 ff.). Dem zugrunde liegt die Erwägung, dass einer Klärung der haftungsrechtlich maßgeblichen Gründe im vorprozessualen Bereich grundsätzlich eine prozessvermeidende Zielrichtung und damit eine prozessökonomische Vorgehensweise zukommt: Der Antragsteller gewinnt durch die sachverständige Klärung der in aller Regel maßgeblichen tatsächlichen medizinischen Fragen Klarheit, ob er an seinen Ansprüchen festhalten oder sie nicht weiter verfolgen will, und der Antragsgegner hat eine qualitativ erheblich bessere Basis zu entscheiden, ob er sich auf einen Rechtsstreit einlassen und insbesondere ihm ungünstige sachverständige Auffassungen weiter bekämpfen will oder nicht (BGHZ 198, 237 ff; Rn 18-20). Ein Prozesskostenhilfegesuch hinsichtlich eines selbständigen Beweisverfahrens mit dem Merkmal der Mutwilligkeit generell zu verneinen wäre damit n...