Entscheidungsstichwort (Thema)
Widerruf eines Testaments durch Vernichtung eines von mehreren Originaltestamenten
Leitsatz (amtlich)
Hat der Erblasser mehrere Originaltestamentsurkunden errichtet, findet § 2255 S. 2 BGB bei Vernichtung einer der Urkunden keine Anwendung. Ein Widerruf des Testaments durch Vernichtung eines von mehreren Originaltestamenten ist in diesem Fall nur anzunehmen, wenn nach den Umständen des Einzelfalls und freier Beweiswürdigung kein Zweifel über einen Aufhebungswillen des Erblassers besteht.
Normenkette
BGB §§ 2253, 2255
Verfahrensgang
AG Königswinter (Aktenzeichen 30 VI 488/19) |
Tenor
Die Beschwerde der Beteiligten zu 3) vom 06.03.2020 gegen den am 18.02.2020 erlassenen Beschluss des Amtsgerichts Königswinter - 30 VI 488/19 - wird zurückgewiesen.
Die Beteiligte zu 3) hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Gründe
1. Die am 16.05.2019 verstorbene Erblasserin war verwitwet. Ihr Ehemann F. H. ist am 23.07.2008 vorverstorben. Die Beteiligten zu 2) und 4) sind die Enkelinnen der Erblasserin. Der Beteiligte zu 1) ist der Urenkel der Erblasserin und der Sohn der Beteiligten zu 4). Die Beteiligte zu 3) stand in keinem Verwandtschaftsverhältnis zu der Erblasserin. Sie war vielmehr bis Mitte 2017 in deren Haushalt tätig.
Die Erblasserin und ihr Ehemann haben wiederholt Erbverträge aufgesetzt, zuletzt mit notarieller Urkunde vom 16.11.2007 (Bl. 25 ff. d. BA 30 IV 299/19 AG Königswinter). In diesem Erbvertrag ist unter anderem folgendes geregelt:
"I. Widerruf
Vorsorglich widerrufen wir hiermit alle bisher von uns einzeln oder gemeinsam errichteten Verfügungen von Todes wegen (...)
II. Erster Erbfall
1. Wir, Eheleute F. und U. H., setzen uns hiermit gegenseitig, der Erstversterbende den Überlebenden von uns, zum alleinigen Erben ein.
2. (...)
IV. Zweiter Erbfall
1. Ein jeder von uns setzt sowohl für den Fall, dass er der Überlebende von uns ist, als auch für den Fall, dass wir gleichzeitig versterben, zu seinem alleinigen Erben ein unseren Urenkel Sohn J. B. [= Beteiligter zu 1], geboren am 10. Juli 1997, (...)
V. Testamentsvollstreckung
1. Der Längstlebende von uns, bei gleichzeitigem Versterben ein jeder von uns, ordnet für seinen Nachlass Testamentsvollstreckung ... an.
Die Testamentsvollstreckung endet erst mit dem Zeitpunkt, zu dem der Erbe seine Berufsausbildung abgeschlossen hat und Einkünfte erzielt, die erwarten lassen, dass er hierdurch dauerhaft seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. (...)
VII
Schlussbestimmungen
(...) Die vorstehenden Verfügungen zu Ziffer IV. und V. sind dagegen mit nur einseitig testamentarischer Wirkung getroffen und können daher jederzeit von jedem von uns einseitig durch Verfügung von Todes wegen abgeändert oder aufgehoben werden. (...) "
Mit notariellem Vertrag vom 11.12.2015 veräußerte die Erblasserin ihr Hausgrundstück in Königswinter an die Beteiligte zu 3), wobei als Gegenleistung eine Betreuungs- und Pflegevereinbarung geschlossen sowie ein Barkaufpreis von 300.000 EUR vereinbart wurde (Bl. 53 ff. d. A.). Außerdem erteilte die Erblasserin der Beteiligten zu 3) eine Vorsorgevollmacht und eine Bankvollmacht.
Bereits im Oktober 2015 hatte die Erblasserin den Zeugen Rechtsanwalt T. - der später auch den notariellen Kaufvertrag vom 11.12.2015 entworfen hat - um Rat bei der Errichtung eines Testamentes gebeten. Der Zeuge fertigte einen Textentwurf, den die Erblasserin dann handschriftlich übernahm. Mit diesem privatschriftlichen Testament vom 29.10.2015 widerrief die Erblasserin alle vorherigen Verfügungen von Todes wegen und setzte die Beteiligte zu 3) als ihre alleinige Erbin ein (Bl. 105 d. BA 30 IV 299/19).
Nachdem die Beteiligte zu 3) im Mai 2017 einen Betrag von 50.000 EUR vom Konto der Erblasserin bei der Kreissparkasse abhob, widerrief die Erblasserin am 21.06.2017 die Bankvollmacht für die Beteiligte zu 3) gegenüber der Bank.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Erblasserin auch das Testament vom 29.10.2015 widerrufen hat. Der Beteiligte zu 1) hat in diesem Zusammenhang vorgetragen, die Erblasserin habe am 25.07.2017 den Zeugen Rechtsanwalt M. aufgesucht, um sich wegen einer möglichen Rückabwicklung des Grundstückskaufvertrages beraten zu lassen. Die Erblasserin habe Rechtsanwalt M. auch ein Original des Testamentes vom 29.10.2015 gezeigt. Sie habe ihm mitgeteilt, dass sie an der Erbeinsetzung der Beteiligten zu 3) nicht mehr festhalten wolle und habe das Original vor den Augen des Zeugen zerrissen. Außerdem habe sie ihm eine Kopie dieses Testamentes übergeben. Die Beteiligte zu 3) hat demgegenüber behauptet, von dem Testament vom 29.10.2015 habe es lediglich ein Original gegeben, nämlich jenes, welches durch den Zeugen Rechtsanwalt T. an das Nachlassgericht übersandt worden sei.
Mit Schriftsatz vom 16.09.2019 hat der Beteiligte zu 1) die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der ihn - unter Anordnung der Testamentsvollstreckung - als Alleinerben ausweist und sich dabei darauf berufen, dass das Testament vom 29.10.2015 wirksam widerrufen worden sei, sod...