Leitsatz (amtlich)
Hat der Erblasser die Kopie eines Testaments, dessen Urschrift er dem eingesetzten Erben übergeben hatte, durchgestrichen oder vernichtet, lässt dies allein nicht seine Aufhebungsabsicht vermuten. Liegen mehrere Testamentsurkunden vor, ist bei Vernichtung oder Veränderung einer Urkunde ein Widerruf nur dann anzunehmen, wenn nach den Einzelumständen und freier Beweiswürdigung kein Zweifel über einen Aufhebungswillen des Erblassers besteht.
Normenkette
BGB § 2255
Verfahrensgang
Notariat Esslingen (Beschluss vom 15.01.2016; Aktenzeichen IV NG 49/2015) |
Tenor
1. Die Beschwerde der Beteiligten Ziff. 2 gegen den Beschluss des Notariats IV Esslingen am Neckar - Nachlassgericht - vom 15.01.2016, Az. IV NG 49/2015, wird
zurückgewiesen.
2. Die Beteiligte Ziff. 2 trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf EUR 100.000,00 festgesetzt.
Gründe
I. Die am 11.04.2015 verstorbene Erblasserin war verwitwet. Ihr Ehemann XXX ist am 08.01.2014 vorverstorben. Aus der Ehe sind die Beteiligten Ziff. 1 und 2 als Abkömmlinge hervorgegangen.
Die Erblasserin hat am 23.02.2014 ein privatschriftliches Testament mit folgendem Wortlaut errichtet (Bl. 5 d.A.):
Testament
Nachdem mein Mann, XXX verstorben ist, verfüge ich über den Nachlass nach meinem Ableben wie folgt: Meine älteste Tochter XXX geboren am XXX, soll Alleinerbin des gesamten Nachlasses aus nachstehenden Gründen sein: Wei sie sich seit mehr als 10 Jahren um meinem und mich gekümmert hat und während dieser Zeit um unser Wohlergehen gesorgt hat, als auch in jeder Hinsicht uns vertreten hat.
Meine jüngere Tochter XXX geboren am XXX hat sich nur in wenigen Ausnahmen um uns gekümmert. Ihre Besuche bei uns waren selten. Deswegen soll sie nur den Pflichtteil des Erbes erhalten.
Esslingen, den 23.2.2014
Gez. XXX
Zeuge XXX
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Erblasserin dieses Testament später widerrufen hat. Die Beteiligte Ziff. 2 hat in diesem Zusammenhang ein Schriftstück vorgelegt (Bl. 13 d.A.), welches offenbar in 4 Teile zerrissen und mit Tesafilm wieder zusammengesetzt worden ist. Die Beteiligte Ziff. 2 trägt dazu vor, die Erblasserin habe am 27.05.2014 die Annulierung des Testaments vom 23.02.2014 erklärt. Die Ungültigkeit des Testaments sei von der Erblasserin und 4 Zeugen - der Beteiligten Ziff. 2 und ihrem Ehemann, der Beteiligten Ziff. 1 und deren Tochter - durch eigenhändige Unterzeichnung des durch ihren - der Beteiligten Ziff. 2 - Ehemann angebrachten handschriftlichen Vermerks "Dieses Schreiben wird für ungültig erklärt" bestätigt worden. Außerdem habe die Erblasserin die 3 auf dem Schriftstück vorhandenen Durchstreichungen selbst vorgenommen.
Bei dem von der Beteiligten Ziff. 2 vorgelegten Schriftstück handelt es sich offenbar um eine Farbkopie des privatschriftlichen Testaments der Erblasserin vom 23.02.2014. Das Originaltestament ohne die Veränderungen hatte die Erblasserin nach Unterzeichnung durch sie und Unterschrift des "Zeugen" XXX - ihres Hausarztes - nach Darstellung der Beteiligten Ziff. 1 Ende Februar 2014 ihr - der Beteiligten Ziff. 1 - zur Aufbewahrung übergeben, wobei die Erblasserin ein "Konzept" für sich behalten habe. Das Originaltestament wurde am 12.04.2015 - also einen Tag nach dem Tod der Erblasserin - von der Beteiligten Ziff. 1 beim Nachlassgericht abgeliefert.
Die Beteiligte Ziff. 1 hat im Rahmen des Termins zur Eröffnung des Testaments vom 23.02.2014 vor dem Notariat IV Esslingen am Neckar am 28.04.2015 die Erteilung eines Erbscheins beantragt, wonach sie Alleinerbin der Erblasserin geworden ist. Sie hat vorgetragen, die Erblasserin - ihre Mutter - habe durch das Testament ihren letzten Willen zum Ausdruck gebracht, dass sie - die Beteiligte Ziff. 1 - für die jahrelangen Hilfeleistungen für ihren Vater und die Erblasserin als Haupterbin gelten solle. Bei einem Besuch der Beteiligten Ziff. 2 und ihres Ehemannes habe die Erblasserin dieses Testament erwähnt. Der Ehemann der Beteiligten Ziff. 2 habe darauf bestanden, ihm dieses Testament zu zeigen, und nach Lektüre desselben erbost reagiert. Mit einem Wortschwall seiner Entrüstung über die angebliche Ungerechtigkeit habe er die Gleichbehandlung seiner Frau verlangt. Sie - die Beteiligte Ziff. 1 - und ihre Tochter XXX hätten mit ihren Unterschriften den Beweis erbringen müssen, dass sie damit einverstanden seien. Sie seien sehr überrascht gewesen und seien um des Friedens willen sowie im Bewußtsein, dass sie im Besitz des Originaltestaments waren, bedauerlicherweise seiner Aufforderung nachgekommen, was sie heute noch bereuten. Das Originaltestament habe sich zu dieser Zeit auf Anraten der Erblasserin bereits in ihrem - der Beteiligten Ziff. 1 - Besitz in ihrer Wohnung befunden.
Die Beteiligte Ziff. 2 ist dem Erbscheinsantrag der Beteiligten Ziff. 1 entgegengetreten. Sie hat vorgetragen, bei jenem Gesprächstermin im Hause der Erblasserin am 27.05.2014 habe die Erblasserin die Annulierung des Testaments vom 23.02.2014 erklärt. Die Un...