Entscheidungsstichwort (Thema)
Sorgfaltspflichten eines Busfahrers an Haltestellen
Leitsatz (amtlich)
Der Busfahrer ist grundsätzlich verpflichtet, an Haltestellen so nah an den Bordstein heranzufahren, dass Fahrgäste gefahrlos auf den Bürgersteig treten können und ein größerer Trittspalt zwischen Bus und Bordsteinkante vermieden wird. Gegebenenfalls muss er behinderten Fahrgästen Ausstiegshilfe leisten.
Normenkette
BGB §§ 823, 831; BGB a.F. § 847; BOKraft § 1 Abs. 2, 7
Verfahrensgang
LG Köln (Urteil vom 06.09.2005; Aktenzeichen 5 O 2/05) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels das Urteil der 5. Zivilkammer des LG Köln - Einzelrichter - vom 6.9.2005 - 5 O 2/05 - abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 17.500 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 4.5.2005 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin alle künftigen materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die aus dem Unfallereignis vom 11.12.2001 entstehen werden, soweit die Ansprüche nicht auf öffentliche Versicherungsträger übergehen oder übergegangen sind.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten dürfen die Zwangsvollstreckung der Klägerin gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Gründe
I. Die im Jahr 1957 geborene Klägerin, die seit 1981 wegen Geistesschwäche - Mikrozephalie - entmündigt war und nunmehr seit 1998 unter Betreuung steht, begehrt Schmerzensgeld und im Wege der Feststellung materiellen und immateriellen Schadenersatz aufgrund einer Verletzung, die sie am 11.12.2001 zwischen 16.30 Uhr und 16.45 Uhr nach dem Ausstieg aus einem Bus des Beklagten zu 1), der an diesem Tag vom Beklagten zu 2) geführt wurde, in L. erlitt. Der Beklagte zu 1) ist Busunternehmer, der aufgrund eines mit den D. Werkstätten L., Gut G., bestehenden Vertrages die tägliche Beförderung der in den Werkstätten tätigen behinderten Menschen, zu denen auch die Klägerin zählt, zwischen Wohnung und Werkstätten übernommen hat. Wegen der Einzelheiten wird auf den Vertrag vom 22.9./5.10.1994 (Bl. 126 ff. GA) verwiesen. Der Beklagte zu 2) war etwa ein- bis zweimal pro Woche, so auch am Unfalltag, als Aushilfsfahrer für den Beklagten zu 1) tätig.
Der Bus, der sich auf dem Rückweg von den Werkstätten befand, hielt in der W. Straße am rechten Fahrbahnrand zwischen einer Haltestelle der M. und der etwa 40 m dahinter liegenden Einmündung der S. Straße, in der die Klägerin bei ihrer Mutter lebt. Die Klägerin ist laut Schwerbehindertenausweis, in den die Merkmale "G" (gehbehindert), "H" (hilflos) und "B" ("Die Notwendigkeit ständiger Begleitung ist nachgewiesen") eingetragen sind, zu 100 % behindert. Der Beklagte zu 2) ließ die Klägerin allein aussteigen. Diese kam sodann unter im Einzelnen streitigen Umständen zu Fall.
Bei dem Sturz erlitt sie einen erstgradig offenen Unterschenkelbruch links, der zunächst durch Fixateur externe und am 28.12.2001 durch eine Unterschenkelmarknagelung versorgt wurde. Nachfolgend entwickelte sich ein Infekt im Schienbeinbereich, so dass am 15.2.2002 der Tibiamarknagel entfernt und erneut ein Fixateur externe angelegt werden musste. Wegen weiterhin verzögerter Frakturheilung wurde am 17.5.2002 eine Transplantation von Knochenmaterial aus dem Beckenkamm zum Tibiaschaft notwendig. Da der Fixateur externe sich lockerte, musste er am 31.5.2002 neu angelegt werden. Als der Bruch weiterhin nicht hinreichend heilte, wurde am 14.6.2002 erneut Knochenmaterial aus dem Beckenkamm transplantiert. Am 31.7.2002 konnte der Fixateur externe entfernt werden, nachdem die Frakturzone durch knöchernen Überbau vollständig überbrückt war. Gleichwohl musste am 20.12.2002 zum dritten Mal Knochenmasse aus dem Beckenkamm in den Unterschenkelknochen eingebracht werden.
Im Zeitraum vom 11.12.2001 bis zum 19.2.2003 musste die Klägerin insgesamt 13 Operationen, alle unter Vollnarkose, über sich ergehen lassen. Der erste stationäre Aufenthalt dauerte vom 11.12.2001 bis zum 24.1.2002; die weiteren Operationen machten weitere Krankenhausaufenthalte erforderlich. Seit dem 21.8.2003 kann die Klägerin ohne den bis dahin nötigen Spezialstiefel laufen; jedoch ist das beim Unfall verletzte linke Bein nun 1,5 - 2 cm kürzer als das rechte. Die Klägerin muss daher spezielles Schuhwerk mit erhöhter Sohle und erhöhtem Absatz tragen. Wegen der weiteren Einzelheiten der Behandlung und der Beschwerden der Klägerin wird auf die Seiten 4 ff. der Klageschrift (Bl. 6 ff. GA) sowie den Bericht des B. Krankenhauses in N. vom 8.10.2002 (Anlage zur Klageschrift, Bl. 18 f. GA) verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des...