Leitsatz (amtlich)
1. Die Bezeichnung einer Anwaltskollegin als "paranoid veranlagt" und die Beschreibung ihres Verhaltens als "gezeigte paranoide Verhaltensweisen" in einem Schreiben an die Rechtsanwaltskammer stellen sich trotz ihres Tatsachenkerns im Schwerpunkt als Werturteile dar.
2. Die Äußerungen sind im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung auch unter Berücksichtigung vorangegangener Auseinandersetzungen und Spannungen als rechtswidrig anzusehen, da sie einen schwerwiegenden Eingriff in die Sozial- bzw. Berufssphäre der betroffenen Anwältin enthalten.
Normenkette
BGB § 823 Abs. 1-2, § 1004 Abs. 1; StGB § 185
Verfahrensgang
LG Köln (Aktenzeichen 81 O 57/21) |
Tenor
Die Berufung des Antragsgegners gegen das am 09. September 2021 verkündete Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Köln - 81 O 57/21 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Antragsgegner auferlegt.
Gründe
I. Die Antragstellerin verlangt von dem Antragsgegner zu unterlassen, sich herabsetzend über sie gegenüber der Rechtsanwaltskammer L. zu äußern.
Die Antragstellerin war aufgrund eines Bürogemeinschaftsvertrages vom 03.10.2019 Mitglied der von dem Antragsgegner angeführten Bürogemeinschaft. Zwischen den Beteiligten gab es zunehmend Spannungen, für die der jeweils andere verantwortlich gemacht wird. Die Antragstellerin kündigte den Vertrag mit Wirkung zum 31.03.2021.
Streitgegenständlich ist ein Schreiben des Antragsgegners an die Rechtsanwaltskammer L. vom 08.04.2021, auf das Bezug genommen wird. Danach wollte sich der Antragsgegner gegenüber befürchteten standesrechtlichen Beanstandungen der Antragstellerin absichern. Hierbei bezeichnete der Antragsgegner die Antragstellerin ohne sie namentlich zu nennen als "paranoid veranlagte Kollegin" und begründete sein Anliegen mit den "gezeigten paranoiden Verhaltensweisen der Kollegin".
Das Landgericht hat am 17.06.2021 eine Beschlussverfügung erlassen, mit der es dem Antragsgegner untersagt hat, die Antragstellerin bzw. ihr Verhalten wie in dem im Tenor der Beschlussverfügung eingeblendeten Schreiben an die Rechtsanwaltskammer vom 08.04.2021 geschehen als "paranoid veranlagt" bzw. als "gezeigte paranoide Verhaltensweisen" zu bezeichnen.
Mit Urteil vom 09.09.2021, auf das wegen der weiteren tatsächlichen Feststellungen sowie der erstinstanzlich gestellten Anträge gem. § 540 Abs. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat das Landgericht die einstweilige Verfügung bestätigt. Es hat insbesondere ausgeführt, dass ein rechtswidriger Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht gem. § 823 Abs. 1 BGB vorliege. Die Interessenabwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht der Antragstellerin und der Meinungsfreiheit des Antragsgegners falle vorliegend zu Lasten des Antragsgegners aus. Soweit von einer Tatsachenbehauptung auszugehen wäre, rechtfertige das vom Antragsgegner zur Begründung vorgebrachte Verhalten der Antragstellerin nicht die Einordnung als paranoid. Gehe man von einem durch die Meinungsfreiheit geschützten Werturteil aus, sei im Besonderen zu berücksichtigen, dass der Antragsgegner die Antragstellerin ohne triftigen Grund als paranoid bezeichne. Es sei dem Antragsgegner nur darum gegangen, sie gegenüber der Rechtsanwaltskammer in ein schlechtes Licht zu rücken und sie als gestörte Person darzustellen. Ein Beitrag zur Meinungsbildung liege nicht vor. Die Äußerung sei für sein Anliegen unerheblich gewesen, sodass auch keine Wahrnehmung berechtigter Interessen vorliege. Auf ein Verfahrensprivileg könne er sich ebenso wenig stützen, weil kein Verfahren anhängig gewesen sei.
Auch ohne namentliche Benennung sei die Antragstellerin für die Rechtsanwaltskammer durch die Angaben und Bezugnahmen im Schreiben hinreichend erkennbar und identifizierbar gewesen.
Mit seiner Berufung wendet sich der Antragsgegner gegen seine Verurteilung.
Er rügt, dass der Tatbestand bereits nicht richtig erfasst worden sei. Der Satz:
"Ferner soll die Antragstellerin Absprachen mit den Mitgliedern missachtet haben, weil sie trotz ihrer Bitte einen Kollegen nicht unverzüglich zurückgerufen habe.",
ergebe bereits logisch keinen Sinn und sei von keiner Partei so vorgetragen worden.
In der Sache handele es sich bei den beiden Aussagen um von der Meinungsfreiheit geschützte Werturteile, die auf nachweisbar wahren Tatsachen beruhten. Das Landgericht verkenne, dass er eine Einordnung als "paranoid" nie getroffen habe, sondern lediglich davon gesprochen habe, dass das Verhalten der Antragstellerin den Schluss nahelege, dass sie paranoid veranlagt sei respektive sie paranoide Verhaltensweisen zeige. Es sei fraglich, auf welcher fachlichen Basis das Landgericht zu der Einschätzung habe gelangen können, die streitgegenständlichen Verhaltensweisen der Antragstellerin würden eine Einordnung als paranoid nicht rechtfertigen. Es handele sich um eine medizinisch-psychologische Frage, so dass eine Beweisaufnahme durch Einholung eines Sachverständigengutachtens habe erfolgen müssen.
Die Meinungsäußerung sei jedenfalls zur Wahrne...