Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufhebung eines Vollstreckungsbescheids bei fehlender Zuständigkeit des AG (Mahngericht)
Leitsatz (amtlich)
Ist das AG für den Erlass des Mahnbescheides nicht (international) zuständig, ist sowohl der Mahnbescheid wie der darauf folgende Vollstreckungsbescheid unwirksam.
Eine Heilungsmöglichkeit besteht in diesem Verfahrensstadium weder durch rügelose Einlassung gemäß § 39 ZPO noch durch Nichterhebung der Schiedseinrede gemäß § 1032 ZPO. Die strenge(re)n Anforderungen für eine Rechtskraftdurchbrechung wegen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung (§ 826 BGB) gelten insofern nicht.
Normenkette
ZPO §§ 38-39, 1032; AVAG § 32; BGB § 826
Verfahrensgang
LG Köln (Urteil vom 01.02.2016; Aktenzeichen 36 O 143/15) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird unter Aufhebung des Urteils der 36. Zivilkammer des LG Köln vom 1.2.2016 (36 O 143/15) der Vollstreckungsbescheid des AG Euskirchen vom 26.8.2014 (25 B 225/14) aufgehoben und die Klägerin auf die Widerklage verurteilt, an die Beklagte 112.825,75 EUR nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozent per anno aus 15.000,00 EUR seit 1.4.2016, aus 24.456,43 EUR seit 1.5.2016, aus 24.456,43 EUR seit 1.6.2016, aus 24.456,43 EUR seit 1.7.2016 und aus 24.456,43 EUR seit 1.8.2016 zu zahlen, sowie die vollstreckbare Ausfertigung des vorgenannten Vollstreckungsbescheids herauszugeben. Im Übrigen wird der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LG Köln - 36. Zivilkammer - zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens bleibt dem LG vorbehalten.
Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckung kann durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abgewendet werden, wenn nicht die vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Parteien streiten über Ansprüche aus einem Handelsvertreterverhältnis.
Aufgrund eines Vertretervertrags vom 1.12.2010 sollte die Klägerin als Handelsvertreterin für die in T ansässige Beklagte tätig werden. Wegen der Einzelheiten der vertraglichen Vereinbarungen wird auf Bl. 47 ff., 104 ff. GA verwiesen. Mit Schreiben vom 10.6.2013 wies die Klägerin auf offene Provisionsansprüche hin und deren Prozessbevollmächtigte forderte die Beklagte mit Schreiben vom 1.4.2014 zur Zahlung von 219.993,50 EUR auf. Anschließend beantragte die Klägerin am 6.5.2014 beim AG Euskirchen den Erlass eines Mahnbescheids über eine als "Vermittlungs-/Maklerprovision" vom 1.12.2010 bis 30.11.2011 bezeichnete Hauptforderung in dieser Höhe nebst Zinsen in Höhe von 8 % ab dem 1.12.2012. Nachdem die Klägerin auf Aufforderung des AG vom 14.5.2014 mit Schreiben vom 11.6.2014 nebst eidesstattlicher Versicherung ihres Geschäftsführers vom 10.6.2014, wonach als Gerichtsstand der Sitz der Klägerin vereinbart worden sei, zur Zuständigkeit Stellung genommen hatte, wurde der Mahnbescheid am 10.7.2014 antragsgemäß erlassen und der Beklagten durch internationales Einschreiben mit Rückschein am 16.7.2014 zugestellt. Anschließend wurde am 26.8.2014 ein Vollstreckungsbescheid erlassen, der am 29.8.2014 ebenfalls durch internationales Einschreiben mit Rückschein zugestellt wurde. Die Beklagte beauftragte am 15.7.2015 ihre Prozessbevollmächtigten, die am 16.7.2015 Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid einlegten und vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen eventueller Versäumung der Einspruchsfrist beantragten. Aufgrund einer Ende März 2016 getroffenen Vereinbarung zahlte die Beklagte (mindestens) den mit der Widerklage zurückverlangten Betrag an die Klägerin.
Die Klägerin hat in erster Instanz die Verwerfung des Einspruchs und Zurückweisung des Wiedereinsetzungsgesuchs der Beklagten beantragt sowie behauptet, dass ihr ein Zahlungsanspruch in der durch den Vollstreckungsbescheid titulierten Höhe gegen die Beklagte zustehe und der Geschäftsführer der Beklagten nach dessen Erhalt mit der Prozessbevollmächtigten der Klägerin auf Deutsch telefoniert habe.
Die Beklagte hat die Aufhebung des Vollstreckungsbescheids und Klageabweisung beantragt sowie mit ihrer Hilfswiderklage die Feststellung der Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung aus dem Vollstreckungsbescheid und dessen Herausgabe begehrt. Die Beklagte hat behauptet, dass das Handelsvertreterverhältnis bereits beendet gewesen sei und dass die Klägerin keine nach den vertraglichen Vereinbarungen provisionspflichtige Vermittlungstätigkeit vorgenommen habe. Zudem hat die Beklagte behauptet, dass dem Vollstreckungsbescheid vom 26.8.2014 - möglicherweise - keine Belehrung in slowenischer Sprache über das Recht zur Annahmeverweigerung gemäß Art. 8, 14 EuZustVO beigefügt gewesen sei. Ferner hat die Beklagte die Auffassung vertreten, dass ihr jedenfalls Wiedereinsetzung zu gewähren sei, weil sie über keine Kenntnisse des deutschen Rechts verfüge und in dem Vertrag vom 1.12.2010 eine Schiedsklausel enthalten sei. Zur Begründung ...