Entscheidungsstichwort (Thema)
Begegnungsverkehr, Engstelle
Leitsatz (amtlich)
Ist die Fahrbahn einer Straße auf einer Seite durch parkende Fahrzeuge verengt, verbleibt aber gleichwohl bei vorsichtiger Fahrweise genügend Raum für ein gleichzeitiges Durchfahren von Fahrzeugen im Begegnungsverkehr, gilt nicht die Wartepflicht des § 6 StVO. Vielmehr bestimmen sich die beiderseitigen Sorgfaltsanforderungen nach § 1 StVO.
Normenkette
StVO §§ 1, 6
Verfahrensgang
AG Aachen (Urteil vom 20.11.2008; Aktenzeichen 107 C 241/08) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des AG Aachen vom 20.11.2008 - 107 C 241/08 - abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 1077,57 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.1.2008 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 56 % und die Beklagten zu 44 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
(gemäß §§ 540 Abs. 1 Ziff. 2, 313a Abs. 1 S. 1)
Die Berufung ist zulässig und hat in der Sache teilweise Erfolg.
Das AG hat zu Unrecht einen Anspruch des Klägers auf Schadensersatz wegen des Verkehrsunfalls vom 14.12.2007 verneint. Der Kläger kann von den Beklagten den ihm unfallbedingt entstandenen Schaden i.H.v. 50 % (= 1.077,57 EUR) gemäß den §§ 7, 17, 18 StVG, 3 PflVG verlangen.
Auch nach dem Ergebnis der in zweiter Instanz durchgeführten ergänzenden Beweisaufnahme ist dem Kläger der Beweis, dass der Beklagte zu 1) den Unfall schuldhaft verursacht hat, nicht gelungen. Nach dem Gutachten des von dem Senat mit der Unfallrekonstruktion beauftragten Sachverständigen Dr. N. beträgt der Restfahrbahnbereich der B.-straße bei rechtsparkenden Fahrzeugen 4,5 Meter. Bei langsamer und konzentrierter Fahrt besteht nach den Ausführungen des Sachverständigen die Möglichkeit, dass zwei Fahrzeuge im Begegnungsverkehr einander passieren können, wenn beide Fahrzeuge ihre Geschwindigkeit unter 30 km/h reduzieren und die Fahrzeuge äußerst rechts geführt werden. In einem solchen Fall richten sich die beiderseitigen Verhaltenspflichten nach den §§ 1 Abs. 2, 2 StVO; § 6 StVO greift nur dann ein, wenn ein Hindernis die Fahrbahn derart versperrt, dass rechts von dem Hindernis ein Vorbeifahren unmöglich ist und links so wenig Platz verbleibt, dass sich begegnende Fahrzeuge die Engstelle nicht gleichzeitig passieren können (OLG Karlsruhe, VersR 2005, 1597 m.w.N.). Bleibt - wie vorliegend - für ein gleichzeitiges Durchfahren der Engstelle durch zwei sich begegnende Kfz genügend Raum, so müssen sich diese Fahrzeuge den zur Verfügung stehenden Raum teilen. Ein Vorrecht zugunsten des Beklagten zu 1) bestand nicht. Der an den parkenden Pkws vorbeifahrende Kläger durfte vielmehr die Gegenfahrbahn mitbenutzen und der entgegenkommende Beklagte zu 1) war grundsätzlich verpflichtet, den Kläger, der an den Hindernissen links vorbeifahren wollte, rechtzeitig und ausreichend weit nach rechts auszuweichen (OLG Karlsruhe, a.a.O.; Geigel-Zieres Der Haftpflichtprozess, 25. Aufl. Kapitel 27 Rz. 198; Hentschel/König/Dauer Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl., § 6 StVO Rz. 3).
Dass der Beklagte zu 1) nicht mit der gebotenen Rücksicht sondern mit überhöhter Geschwindigkeit und nicht soweit rechts gefahren ist wie es ihm möglich gewesen wäre, steht nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. N. nicht fest. Da die Endstellungen der unfallbeteiligten Fahrzeuge nicht gesichert wurden, vermochte der Sachverständige die Geschwindigkeit der unfallbeteiligten Fahrzeuge nicht festzustellen. Auch wenn der Sachverständige nachvollziehbar dargelegt hat, dass aus dem an beiden Fahrzeugen erkennbaren Schäden auf einen flachen Kollisionswinkel um 10 bis 15 Grad geschlossen werden kann und alle Anknüpfungstatsachen dafür sprechen, dass der Pkw des Klägers im Unfallzeitpunkt in Bewegung war, so lässt er doch ausdrücklich offen, ob sich das Fahrzeug des Klägers geradeaus bewegt und die Winkelstellung der Fahrzeuge durch ein Ausweichen des Fahrzeuges des Beklagten nach rechts aus einer vorher weiter links liegenden Position eingestellt hatte oder ob der Pkw des Klägers in der Kontaktphase leicht nach links in Richtung des Fahrkanals des Fahrzeuges des Beklagten ausgerichtet war. Für eine entsprechende Feststellung reichten die dem Sachverständigen zur Verfügung stehenden Anknüpfungstatsachen nicht aus.
Ein Verstoß des Beklagten zu 1) gegen die Vorschriften der §§ 1, 2 StVO ist hiernach nicht bewiesen.
Allerdings steht auch eine schuldhafte Verursachung des Unfalls durch den Kläger nicht fest. Ein Vorrecht des Beklagten zu 1) nach § 6 StVO bestand nicht und der Kläger durfte an den parkenden Fahrzeugen vorbeifahren. Eine Vorbeifahrt wäre ihm nur dann untersagt gewesen, wenn er bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt hätte erkennen können, dass der entgegenkommende VW-Kleintransporter zu schnell war und/oder unter Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot herannahte, d.h. die Gefah...