Leitsatz (amtlich)
1. Erlangt der Nacherbe im Erbscheinsverfahren des Vorerben Kenntnis vom Inhalt des Testaments, so setzt diese Kenntnis nicht die Ausschlagungsfrist in Lauf.
2. Mit der Verkündung der letztwilligen Verfügung an einen Erben (hier: Nacherbe) in seiner Funktion als gesetzlicher Vertreter eines Erben (hier: Nach-Nacherbe) in Form der schriftlichen Kundgabe wird die Ausschlagungsfrist des Erben nicht in Lauf gesetzt. Deren Beginn setzt eine Kundgabe an den Erben als Beteiligten vor aus (im Anschluss an BGHZ 112, 229).
Normenkette
BGB a.F. § 1944 Abs. 2 S. 2; BGB §§ 2139, 2142 Abs. 1; BGB a.F. §§ 2260, 2262; BGB § 2142
Verfahrensgang
LG München I (Beschluss vom 22.03.2010; Aktenzeichen 16 T 22544/09) |
AG München (Aktenzeichen 61 VI 7508/02) |
Tenor
I. Die weitere Beschwerde des Beteiligten zu 2 gegen den Beschluss des LG München vom 22.3.2010 wird zurückgewiesen.
II. Der Beteiligte zu 2 hat die den Beteiligten zu 1, 3 und 4 im Verfahren der weiteren Beschwerde entstandenen Kosten zu erstatten.
III. Der Geschäftswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde wird auf 48.500 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Erblasserin verstarb am 14.5.2002 in ... Sie war deutsche Staatsangehörige und verheiratet. Ihr Ehemann ist am 15.7.2007 nachverstorben. Aus der Ehe gingen 5 Kinder hervor, darunter die Beteiligten zu 1 und 2. Die Beteiligten zu 3 und 4 sind die Kinder des Beteiligten zu 2.
Die Erblasserin errichtete am 23.1.2000 ein handschriftliches, unterschriebenes Testament, in dem sie ihren Mann als Vorerben und die Beteiligten zu 1 und 2 als Nacherben einsetzte. Hinsichtlich des Beteiligten zu 2 wurde weitere Nacherbfolge angeordnet, wobei Nacherben dessen Kinder, die Beteiligten zu 3 und 4, sein sollten. Nach dem Tod des Ehemanns am 15.7.2007 wurde der zunächst erteilte Erbschein für den Ehemann der Erblasserin mit Beschluss vom 19.9.2007 eingezogen. Mit Verfügung vom 3.9.2007, ausgefertigt am 13.9.2007, übersandte das Nachlassgericht dem Beteiligten zu 2 und seiner geschiedenen Ehefrau als gesetzliche Vertreter der Beteiligten zu 3 und 4 eine Kopie des Testaments der Erblasserin. Dabei wurden die gesetzlichen Vertreter darüber in Kenntnis gesetzt, dass ihre minderjährigen Kinder nach dem Testament als Nacherben bezüglich des Anteils des Beteiligten zu 2 in Betracht kämen. Des Weiteren übersandte das Nachlassgericht mit Schreiben vom 15.11.2007 den Beteiligten zu 1 und 2 jeweils eine Kopie des Testaments der Erblasserin und teilte diesen dabei mit, dass sie als Miterben in Betracht kämen, nachdem der Nacherbfall eingetreten ist. Mit Schreiben vom 19.12.2007 schlug der Beteiligte zu 2 unter Hinweis darauf, dass er mit Schreiben des Nachlassgerichtes vom 15.11.2007 Kenntnis vom Nacherbfall erhalten habe, im Hinblick auf seine Beschränkung durch Anordnung der Nacherbschaft die Erbschaft nach der Erblasserin aus allen Berufungsgründen aus. Auf förmlichen Antrag des Beteiligten zu 1 hin bewilligte das Nachlassgericht mit Beschluss vom 14.3.2008 einen gemeinschaftlichen Erbschein, der den Beteiligten zu 1 i.H.v. ½ und die Beteiligten zu 3 und 4 i.H.v. je ¼ als Erben der Erblasserin ausweist.
Mit Schriftsatz vom 8.1.2009 hat der Beteiligte zu 2 seine Erklärung der Erbausschlagung angefochten. Er sei einem Inhaltsirrtum gem. § 119 Abs. 1 BGB unterlegen. Er habe die Ausschlagung nur vorgenommen, um gem. § 2306 Abs. 1 Satz 2 BGB statt des Erbteils den Pflichtteil zu erlangen. Da der Pflichtteilsanspruch aber zum Zeitpunkt der Ausschlagung bereits verjährt gewesen sei, worauf er durch den Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten zu 3 und 4 mit Schreiben vom 5.12.2008 hingewiesen worden sei, sei er insoweit einem Irrtum unterlegen. Mit Schriftsatz vom 22.7.2009 hat er die Einziehung des Erbscheins beantragt. Dabei berief er sich nicht nur auf die Anfechtung, sondern auch darauf, dass die Ausschlagung bereits deswegen nicht wirksam sei, weil sie verfristet gewesen sei. Er habe bereits mit Schreiben des Nachlassgerichtes vom 3.9./13.9.2007 und im Rahmen eines von ihm anlässlich des Zugangs dieses Schreiben getätigten Telefonats mit der Geschäftsstelle des AG bzw. mit der zuständigen Rechtspflegerin Kenntnis von dem Nacherbfall und damit zwangsläufig auch von seinem Erbrecht erhalten. Die sechs-wöchige Ausschlagungsfrist sei damit seit dem 26.10.2007 bereits verstrichen, so dass die Erbschaft damit als angenommen gelte. Eine Ausschlagung sei daher nicht mehr möglich gewesen. Dem sind die übrigen Beteiligten entgegengetreten.
Mit Beschluss vom 9.10.2009 lehnte das Nachlassgericht die Einziehung des am 14.3.2008 erteilten Erbscheins mit der Begründung ab, dass die Kenntniserlangung des Beteiligten zu 2 vom Erbfall erst mit amtlicher Kundmachung durch das Schreiben des Nachlassgerichts vom 15.11.2007 erfolgt sei. Die Ausschlagung sei daher nicht verfristet. Ein beachtlicher Inhaltsirrtum liege nicht vor. Die Beschwerde des Beteiligten zu 2 wies das LG mit Beschluss vom 22.3.2010 zurück. Gegen diese Entscheidung richtet sich die weite...