Leitsatz (amtlich)
1. Ein im Betreuungsverfahren erholtes psychiatrisches Sachverständigengutachten stellt im Erbscheinserteilungsverfahren jedenfalls dann keine tragfähige Entscheidungsgrundlage dar, wenn nicht nur unerhebliche Zweifel an der Testierfähigkeit bestehen.
2. Wird daraufhin im Beschwerdeverfahren ein Gutachten zur Frage der Testierfähigkeit eingeholt, ist im Rahmen der für das Beschwerdeverfahren zu treffenden Kostenentscheidung zu berücksichtigen, ob die letztlich erfolglosen Einwendungen des Beschwerdeführers von vornherein ohne Substanz waren (Anschluss an OLG Schleswig FamRZ 2013, 719). Im Rahmen der zu treffenden Billigkeitsentscheidung über die Kostentragungslast kann es gerechtfertigt sein, die Kosten für dieses Gutachten unabhängig vom Ausgang des Beschwerdeverfahrens demjenigen aufzuerlegen, dem die Klärung der Frage der Testierfähigkeit letztendlich zugutekommt.
Normenkette
BGB § 2229; FamFG §§ 26, 81, 84
Verfahrensgang
AG München (Beschluss vom 23.03.2015; Aktenzeichen 61 VI 5884/14) |
Tenor
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des AG München - Nachlassgericht - vom 23.03.2015, berichtigt mit Beschluss vom 25.03.2015, wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten des gerichtlichen Sachverständigengutachtens einschließlich der Anhörung des Sachverständigen im Beschwerdeverfahren sowie die Kosten für die Anhörung der Zeugen im Beschwerdeverfahren trägt die Beteiligte zu 3.
III. Im Übrigen trägt die Beschwerdeführerin die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
IV. Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 50.000.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht ist das Nachlassgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Voraussetzungen für die Erteilung des von der Beteiligten zu 3 beantragten Erbscheins vorliegen.
1. Der Senat ist nach den durchgeführten, umfangreichen Ermittlungen nicht davon überzeugt, dass der Erblasser bei Errichtung des Testaments vom 09.01.2014 testierunfähig im Sinne des § 2229 Abs. 4 BGB war. Maßgeblich für die Erbfolge ist deshalb das Testament vom 09.01.2014; der vom Nachlassgericht bewilligte Erbschein entspricht der Erbrechtslage.
Nach der Konzeption des § 2229 BGB, wonach die Störung der Geistestätigkeit die Ausnahme bildet, gilt jedermann, der das 16. Lebensjahr (§ 2229 Abs. 1 BGB) vollendet hat, solange als testierfähig, bis das Gegenteil zur vollen Überzeugung des Gerichts bewiesen ist (vgl. Lauck in: Burandt/Rojahn Erbrecht, 2. Auflage ≪2014 ≫ § 2229 BGB Rn. 22 m.w.N.). Für diesen Beweis genügt, da eine absolute Gewissheit nicht zu erreichen und jede Möglichkeit des Gegenteils nicht auszuschließen ist, ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit (BGH NJW 1993, 935), der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BGH NJW 2014, 71; Thomas/Putzo/Reichold ZPO 37. Auflage ≪2016 ≫ § 286 Rn. 2). Diese für § 286 ZPO entwickelten Grundsätze gelten grundsätzlich auch im Verfahren mit Amtsermittlungsgrundsatz (BGH NJW 1994, 1348).
a) Nach § 2229 Abs. 4 BGB kann ein Testament nicht errichten, wer wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, wegen Geistesschwäche oder wegen Bewusstseinsstörung nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Testierunfähig ist derjenige, dessen Erwägungen und Willensentschlüsse nicht mehr auf einer dem allgemeinen Verkehrsverständnis entsprechenden Würdigung der Außendinge und der Lebensverhältnisse beruhen, sondern durch krankhaftes Empfinden oder krankhafte Vorstellungen und Gedanken derart beeinflusst werden, dass sie tatsächlich nicht mehr frei sind, sondern vielmehr von diesen krankhaften Einwirkungen beherrscht werden. Diese Unfreiheit der Erwägungen und der Willensbildungen braucht nicht darin zu Tage zu treten, dass der Erblasser sich keine Vorstellung von der Tatsache der Errichtung eines Testaments und von dessen Inhalt oder von der Tragweite seiner letzten Anordnungen, insbesondere von der Auswirkung auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen zu machen vermag. Sie kann sich vielmehr darauf beschränken, die Motive für die Errichtung einer letztwilligen Verfügung entscheidend zu beeinflussen. Testierunfähig ist daher auch derjenige, der nicht in der Lage ist, sich über die für und gegen die letztwillige Verfügung sprechenden Gründe ein klares, von krankhaften Einflüssen nicht gestörtes Urteil zu bilden und nach diesem Urteil frei von Einflüssen etwaiger interessierter Dritter zu handeln (st. Rspr.; vgl. BGH FamRZ 58, 127; BayObLGZ 2004, 237/240f; OLG München FamRZ 2007, 2009/2011; OLG Bamberg FamRZ 2016, 83). Dabei geht es nicht darum, den Inhalt letztwilliger Verfügungen auf seine Angemessenheit zu beurteilen, sondern nur darum, ob sie frei von krankheitsbedingten Störungen gefasst werden konnten (BayObLGZ 1999, 205/210 f.). Nachdem die Störung der Geistestätigkeit die Ausnahme bildet, ist ein Erblasser bis zum Beweis des Gegenteils als testierfähi...