Leitsatz (amtlich)
1.
Der Begriff "gleichzeitig" bedeutet seinem Wortsinn nach, dass mehrere Ereignisse zur selben Zeit eintreten; der gleichzeitige Tod mehrerer untereinander erbberechtigter Personen führt dazu, dass keiner des anderen Erbe werden kann.
2.
In erbrechtlicher Hinsicht kann von einem gleichzeitigen Tod daher nur die Rede sein, wenn die untereinander erbberechtigten Personen im gleichen Bruchteil einer Sekunde (zur selben Zeit) den Tod gefunden haben; im Hinblick auf diesen scharf umgrenzten Wortsinn des Begriffs des gleichzeitigen Versterbens ist dieser Begriff grundsätzlich eindeutig.
3.
Der Richter ist auch bei einer ihrem Wortlaut nach scheinbar eindeutigen Willenserklärung an den Wortlaut nicht gebunden, wenn sich aus den Umständen ergibt, dass der Erklärende mit seinen Worten einen anderen Sinn verbunden hat, als dies dem allgemeinen Sprachgebrauch entspricht, sofern der wirkliche Wille in der Verfügung von Todes wegen Ausdruck gefunden hat; dem Begriff des gleichzeitigen Versterbens oder vergleichbaren Formulierungen kann daher eine über den strengen Wortsinn hinaus reichende Bedeutung beigemessen werden.
4.
Ergänzen die Testierenden ihre Verfügung zur Enterbung um die Angabe des Motivs (Abwendung von der Familie), lässt die Angabe dieses Grundes für die getroffene einschneidende Verfügung die Schlussfolgerung nahe liegend erscheinen, dass die Enterbung eine bewusste Entscheidung der Eheleute für alle Versterbensfälle ist.
Verfahrensgang
LG Coburg (Entscheidung vom 03.04.2007; Aktenzeichen 41 T 6/07) |
AG Coburg (Aktenzeichen VI 596/06) |
Gründe
I.
#Die Erblasserin ist am 8.6.2006 im Alter von 81 Jahren verstorben. Ihr Ehemann war vorverstorben. Die Erblasserin hinterließ vier Kinder, die Beteiligten zu 1 bis 4. Die Eheleute verfassten am 8.3.1988 folgendes gemeinschaftliche Testament:
"Testament
Wir die Eheleute H. und M. H. setzen uns hiermit gegenseitig zu alleinigen Erben unseres gesamten Nachlasses ein.
Im Falle dass beide gleichzeitig Ableben, wünschen wir: J. H. unser Sohn soll das Haus, sowie Grundstück mit Garage bekommen. Er hat an seine Schwestern M. M. und an S. S. jeder 40.000,-- DM Vierzigtausend zu zahlen. Unser Sohn W. H. soll nur seinen Pflichtteil erhalten, da er sich von uns abgewand hat. Denn wer von uns zu Lebzeiten nichts wissen will, braucht auch nach unserem Ableben nichts. Sollte noch Geld und Wertsachen vorhanden sein, so mögen sich die 3 obengenannten Geschwister, M., J. und S. es sich zu gleichen Teilen teilen. J. müsste seinem Bruder W. den Pflichtteil, wenn er nicht darauf verzichtet übernehmen.
C. d. 8.3.1988 C. d. 8.3.1988
H.H. M.H. geb. L."
Der Beteiligte zu 3 ist der Meinung, dass er einziger Schlusserbe geworden sei und beantragte die Ausstellung eines Erbscheins als Alleinerbe. Demgegenüber vertritt der Beteiligte zu 2 die Auffassung, dass seine Eltern eine Schlusserbeneinsetzung nur für den Fall des gleichzeitigen Versterbens getroffen hätten und beantragte einen Erbschein, der die Beteiligten zu 1 bis 4 zu Miterben je zu 1/4 ausweist.
Das Nachlassgericht kündigte mit Beschluss vom 17.11.2006 einen Erbschein mit dem Inhalt an, wonach die Erblasserin von dem Beteiligten zu 3 allein beerbt worden sei. Gegen diese Entscheidung legte der Beteiligte zu 2 Beschwerde ein. Hierauf hat der Einzelrichter des Landgerichts den Beschluss des Nachlassgerichts vom 17.11.2006 aufgehoben und es angewiesen, einen Erbschein entsprechend dem Antrag des Beteiligten zu 2 zu erteilen. Gegen diese Entscheidung des Landgerichts vom 3.4.2007 richtet sich die weitere Beschwerde des Beteiligten zu 3.
II.
Das zulässige Rechtsmittel hat in der Sache Erfolg.
1.
Das Landgericht hat im Wesentlichen ausgeführt:
Der Vorbescheid des Nachlassgerichts sei aufzuheben, da er nicht der gegebenen Erbfolge entspreche. Diese bestimme sich nicht nach dem gemeinschaftlichen Testament vom 8.3.1988; vielmehr trete gesetzliche Erbfolge ein. Die in dem gemeinschaftlichen Testament enthaltene Formulierung des gleichzeitigen Ablebens der Eheleute gelte nicht für alle Versterbensfälle. Nach den gegebenen Grundsätzen zur Testamentsauslegung sei davon auszugehen, dass die Einsetzung des Schlusserben nur für den Fall gelten sollte, dass die Eheleute tatsächlich gleichzeitig durch ein plötzliches Ereignis oder doch jedenfalls so kurz nacheinander zu Tode kommen, dass der überlebende Ehegatte nicht mehr in der Lage gewesen wäre, eine neue Erbeinsetzung vorzunehmen. Anderes sei weder der Urkunde noch den sonstigen Umständen zu entnehmen. Die Formulierung des Testamentes, wonach derjenige, der zu Lebzeiten nichts von der Familie wissen wolle, auch nach ihrem Ableben nichts brauche, ergebe, dass die Schlusserbeneinsetzung für den überlebenden Ehegatten gerade nicht bindend sein sollte. Die Erblasserin wäre, etwa bei einer Normalisierung der Beziehungen zu dem Beteiligten zu 2 frei gewesen, eine abweichende Schlusserbenregelung zu treffen. Aus der Stellungnahme des Beteiligten zu 3 ergebe sich nichts anderes als die Beschränkun...