Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Leistungsanspruch aus Betriebsschließungsversicherung bei coronabedingter Teilschließung einer Kindertagesstätte
Leitsatz (amtlich)
Sehen die AVB einer Betriebsschließungsversicherung eine Entschädigung für den Fall vor, dass die zuständige Behörde aufgrund des IfSG beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt, liegt eine versicherte Betriebsschließung nicht vor, wenn der Betreiber einer Kindertagesstätte zwar aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorgaben den Normalbetrieb einstellt, jedoch eine Notbetreuung aufrechterhält. Eine derartige Notbetreuung stellt gegenüber dem Normalbetrieb nur eine quantitative Abweichung, ein "Weniger" an Betrieb, aber nicht etwas gänzlich anderes ("aliud") dar, da am selben Ort wie im Normalbetrieb unter Einsatz derselben Mittel demselben Leistungsinteresse der Nutzer nachgekommen wird, wenn auch möglicherweise in geringerem Umfang, was etwa Räumlichkeiten, Personal und Anzahl betreuter Kinder betrifft (s. zur Frage der Abgrenzung von nicht versicherter Teilschließung und vollständiger Betriebsschließung auch OLG Karlsruhe BeckRS 2021, 16057 Rn. 57 ff.; OLG Celle BeckRS 2021, 19928; LG Darmstadt BeckRS 2021, 17791; zum Auslandsrecht (Österreich) s. LG Innsbruck BeckRS 2020, 37907 Rn. 58). (Rn. 28)
Normenkette
BGB § 307; IfSG §§ 6-7; ZPO § 543 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 17.09.2020, Aktenzeichen 12 O 7208/20, wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München I ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 150.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
Die Klägerin betreibt eine private Kindertagesstätte und unterhält für diese eine Betriebsschließungsversicherung bei der Beklagten. Vereinbart sind die Allgemeinen Bedingungen für die Versicherung von Betrieben gegen Schäden infolge Infektionsgefahr (Betriebsschließung) - AVB-BS - Stand 1. Januar 2013 der Beklagten (fortan: AVB-BS 2013; Anlage K 2).
§ 1 AVB-BS 2013 ist überschrieben mit "Gegenstand der Versicherung, versicherte Gefahren". Nach § 1 Nr. 1 AVB-BS 2013, überschrieben mit "Versicherungsumfang", leistet der beklagte Versicherer Entschädigung, "wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Nr. 2) ... den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt". In § 1 Nr. 2 AVB-BS 2013 heißt es unter der Überschrift "Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger": "Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden [Hervorhebung im Original], im Infektionsgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger: ...", gefolgt von einer listenförmigen Aufzählung von Krankheiten unter lit. a und einer solchen von Krankheitserregern unter lit. b.
Wegen der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2, das in der Aufzählung nicht genannt ist, entfielen ab 16. März 2020 aufgrund Allgemeinverfügungen des Gesundheitsministeriums die regulären Betreuungsangebote der Kindertagesstätte und es wurde nur noch eine Notbetreuung im zulässigen Umfang vorgehalten. Die Klägerin erstattete die Elternbeiträge zurück, soweit die Betreuung nicht in Anspruch genommen wurde. Ein Drittel des Finanzbedarfs der klägerischen Einrichtung wird aus staatlichen Zuschüssen gedeckt, die unverändert weitergezahlt wurden. Zusätzlich erhielt die Klägerin staatliche Zuschüsse für Kinder, die der Einrichtung ferngeblieben sind.
Die Klägerin hat die Zahlung von Versicherungsleistungen für die vertragliche Höchstdauer von 30 Tagen in Höhe von 150.000 EUR nebst Zinsen und Rechtsverfolgungskosten verlangt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen (LG München I, r+s 2020, 578). Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
In ihrer Berufungsbegründung rügt die Klägerin die Verletzung materiellen und formellen Rechts. Sie meint, eine vollständige Schließung des Betriebs habe vorgelegen. Das Landgericht habe einen Antrag auf Tatbestandsberichtigung fehlerhaft zur...