Leitsatz (amtlich)
1. Allein die Begegnung auf Fachkongressen, der wissenschaftliche Austausch in gemeinsamen fachlichen Arbeitsgemeinschaften oder die Mitarbeit bei größeren universitären Forschungsprojekten lassen für sich genommen nicht den Rückschluss zu, ein Sachverständiger habe nicht mehr die nötige Distanz zur kritischen Beurteilung der Tätigkeit eines Kollegen.
2. Der Sachverständige ist kein Jurist, von dem erwartet werden kann, dass er bei der Beurteilung, welche Anknüpfungstatsachen dem Gutachten zugrunde zu legen sind oder wie weit sein Gutachtensauftrag reicht, keine Fehler macht, zumal wenn es sich um ein umfangreiches und komplexes Verfahren handelt.
Normenkette
ZPO § 42 Abs. 2, § 406
Verfahrensgang
LG München I (Beschluss vom 15.08.2006; Aktenzeichen 9 O 22406/97) |
Tenor
I. Die sofortige Beschwerde des Klägers vom 15.8.2006 gegen den Beschluss des LG München I vom 27.7.2006 wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Beschwerdewert wird auf 1.114.616 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger macht geltend, der Beklagte zu 1) habe als Direktor der Psychiatrischen Klinik und Poliklinik mit Konsiliardienst G. Klinikum Innenstadt im Dezember 1994 auf Betreiben der damaligen Ehefrau des Klägers ein falsches, fachlich nicht vertretbares psychiatrisches Attest erstellt, in dem er zu Unrecht die Notwendigkeit der sofortigen Unterbringung des Klägers in einer geschlossenen Abteilung einer psychiatrischen Klinik bejaht habe. Mit Hilfe des pflichtwidrig an die Ehefrau ausgehändigten Attestes habe diese Ermittlungs- und Betreuungsverfahren gegen den Kläger in Gang gesetzt, seinen Ruf zerstört und ihn geschäftlich ruiniert. Die Beklagte zu 2) müsse sich das Verhalten des Beklagten zu 1) als hoheitliche Betätigung zurechnen lassen. Von beiden Beklagten verlangt der Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld, das er mit mindestens 50.000 EUR bewertet, und die Feststellung der Ersatzpflicht für sämtliche materiellen und künftigen immateriellen Schäden, die er mit ca. 4 Mio. Euro beziffert.
Nach Erholung mehrerer medizinisch-psychiatrischer Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. S. ordnete das LG mit Beschluss vom 30.4.2003 nach § 412 ZPO eine neue Begutachtung an und bestimmte Prof. Dr. F. zum Sachverständigen. Dieser reichte am 16.1.2006 sein Gutachten beim LG ein.
Mit Schriftsatz vom 24.4.2006 lehnte der Kläger den Sachverständigen Prof. Dr. F. wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Er macht geltend, eine Internet-Recherche habe ergeben, dass der Sachverständige mit dem Beklagten zu 1) in engem Kontakt stehe. Beide seien als Mitglieder fachwissenschaftlicher Vereine miteinander bekannt, würden wissenschaftlich und publizistisch eng zusammenarbeiten, seien Co-Autoren und Mitherausgeber zahlreicher Fachpublikationen und würden in einem Forschungsprojekt der Universität Bonn laufend miteinander in Verbindung stehen. Auch Formulierungen im Gutachten sowie Mängel der Begutachtung ließen erkennen, dass der Sachverständige zugunsten des Beklagten zu 1) und zu Lasten des Klägers voreingenommen sei. Zudem bestehe ein persönlicher Konflikt zwischen dem Sachverständigen Prof. Dr. F. und dem Vorgutachter Prof. S.. Sowohl der Sachverständige als auch die Beklagtenvertreter äußerten sich zum Befangenheitsantrag. Mit Beschluss vom 27.7.2006, dem Klägervertreter zugestellt am 2.8.2006, wies das LG den Antrag zurück. Hiergegen richtet sich die am 15.8.2006 eingegangene sofortige Beschwerde des Klägers. Das LG hat der Beschwerde mit Beschluss vom 28.8.2006 nicht abgeholfen und die Akten dem OLG zur Entscheidung vorgelegt. Ergänzend wird auf die Schriftsätze des Klägervertreters vom 24.4.2006 (Bl. 1058/1089 d.A.), 19.6.2006 (Bl. 1107/1109 d.A.) und 15.8.2006 (Bl. 1117/1120 d.A.), der Beklagtenvertreter vom 19.6.2006 (Bl. 1093/1106 d.A.), 22.6.2006 (Bl. 1110/1111d. A), 30.6.2006 (Bl. 1112/1113 d.A.), 22.8.2006 (Bl. 1121/1122 d.A.) und 25.8.2006 (Bl. 1123/1126 d.A.), das Schreiben des Sachverständigen vom 31.5.2006 (Bl. 1091/1092 d.A.) und den Beschluss der Kammer vom 27.7.2006 (Bl. 1114/1116 d.A.) Bezug genommen.
II. Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
Ein Sachverständiger kann wie ein Richter (§ 406 ZPO i.V.m. § 42 Abs. 2 ZPO) wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn vom Standpunkt der Partei aus objektiv und vernünftig betrachtet ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen zu rechtfertigen.
Das LG hat im Beschluss vom 27.7.2006 zutreffend dargelegt, dass kein Ablehnungsgrund im vorgenannten Sinn gegen den Sachverständigen Prof. Dr. F. gegeben ist. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird hierauf Bezug genommen.
Ergänzend ist folgendes auszuführen:
I. Ungeachtet der Frage, ob der Kläger bereits zu einem früheren Zeitpunkt Bedenken wegen der nunmehr über das Internet recherchierten beruflichen Berührungspunkte zwischen dem Sachverständigen und dem Beklagten zu 1) hätte geltend machen können und müssen, teilt der Senat die Beurteil...