Leitsatz (amtlich)

  • 1.

    Die Frist zur Ausschlagung der Erbschaft beginnt erst, wenn der Erbe zuverlässige Kenntnis vom Anfall der Erbschaft und dem Grund seiner Berufung hat. Zuverlässige Kenntnis vom Grund der Berufung ist nicht gegeben, wenn der durch eine auslegungsbedürftige letztwillige Verfügung berufene Miterbe mit vertretbaren Gründen annimmt, er sei Alleinerbe aufgrund Gesetzes.

  • 2.

    Der nicht näher begründete gerichtliche Hinweis, die Erbfolge richte sich nach dem Testament, dessen Auslegung zwischen den Beteiligten streitig ist, vermittelt in der Regel keine zuverlässige Kenntnis vom Grund der Berufung.

  • 3.

    Es bleibt offen, ob es in einem solchen Fall für den Beginn der Ausschlagungsfrist auf die Kenntnis des Verfahrensbevollmächtigten des Erben ankommen kann.

 

Verfahrensgang

LG München I (Entscheidung vom 31.01.2006; Aktenzeichen 16 T 10058/05)

AG München (Aktenzeichen 67 VI 5963/02)

 

Gründe

I.

Der Erblasser ist am 13.4.2002 im Alter von 89 Jahren verstorben. Seine Ehefrau ist 1995 vorverstorben. Der kinderlose Beteiligte zu 1 ist das einzige gemeinsame Kind der Eheleute. Die Ehefrau hatte drei weitere Kinder aus erster Ehe. Die Beteiligte zu 2 ist ihre Tochter, die Beteiligten zu 3 und 4 sind deren Kinder. Eine weitere Tochter ist im Januar 1992 vorverstorben, der Beteiligte zu 5 ist ihr Sohn. Zum Sohn aus erster Ehe war der Kontakt abgebrochen.

Die Eheleute haben am 15.3.1992 ein privatschriftliches gemeinschaftliches Testament errichtet, das wie folgt lautet:

"Unser letzter Wille.

Wir, die Eheleute ... setzen uns gegenseitig zu alleinigen Erben ein.

Unsere zwei Kinder und drei Enkel sollen als Nacherben nur das erhalten was nach dem Tode des letzten Ehepartners von dem Nachlass des früher verstorbenen Ehepartners noch übrig ist - und zwar wie folgt:

(Beteiligte zu 2) und (Beteiligter zu 1) je 25%

(Beteiligte zu 3, 4 und 5) je16 2/3 %

Verlangt eines unserer Kinder aus dem Nachlass des zuerst Versterbenden seinen Pflichtteil, so soll er nach dem Tode des zuletzt Versterbenden auch nur den Pflichtteil aus dessen Nachlass erhalten.

Das gleiche gilt, wenn eines unserer Kinder unseren letzten Willen anfechten sollte.

(Ort, Datum, Unterschriften)"

Im Zusammenhang mit dem Erbscheinsantrag nach dem Tod seiner Ehefrau hat der Erblasser erklärt: "Schlusserben sind im Testament eingesetzt. Die angegebenen Nacherben sind auch die Erben meines Vermögens." Das drei Seiten umfassende Protokoll enthält ferner am Ende der zweiten Seite einen handschriftlichen Einschub, in dem die Formulierung "unsere zwei Kinder" erläutert und ausgeführt wird: "Es war für mich kein Unterschied zu meinem eigenen Kind und (der Beteiligten zu 2)."

Zum Nachlass gehört eine Eigentumswohnung; der Gesamtnachlasswert beträgt rund 1 Mio. EUR.

Der Beteiligte zu 1 hat mit Urkunde seines zugleich als Notar tätigen Verfahrensbevollmächtigten vom 24.5.2002 die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der ihn als alleinigen gesetzlichen Erben ausweist. Zur Begründung hat er ausgeführt, das gemeinschaftliche Testament vom 15.3.1992 enthalte keine Erbeinsetzung nach dem Letztversterbenden, so dass gesetzliche Erbfolge eintrete. Die Beteiligten zu 2 bis 4 sind dem entgegengetreten. Sie haben die Auffassung vertreten, die als "Nacherben" bezeichneten Bedachten seien zugleich Schlusserben nach dem Letztversterbenden. Der Beteiligte zu 4 hat die Erteilung eines gemeinschaftlichen Teilerbscheins beantragt, der die Beteiligte zu 2 als Miterbin zu 1/4, die Beteiligten zu 3 und 4 als Miterben zu je 1/6 ausweist.

Mit Verfügung vom 10.10.2002 hat das Nachlassgericht die Beteiligten darauf hingewiesen, dass der Erklärung des Erblassers am 19.12.1995 für die Ermittlung des Erblasserwillens maßgebliche Bedeutung zukomme, und ihnen eine Ablichtung der Niederschrift des Nachlassgerichts übermittelt. Der Verfahrensbevollmächtigte des Beteiligten zu 1 hat mit Schriftsatz vom 30.10.2002 erwidert, es sei unrichtig, dass im Testament Schlusserben eingesetzt seien. Überdies sei der handschriftliche Vermerk unverständlich, er stamme nicht vom Erblasser, sondern von der Beteiligten zu 2, die ausweislich des Protokolls bei dem Termin jedoch nicht anwesend gewesen sei. Insofern werde um Aufklärung gebeten. Mit Schreiben vom 27.11.2002 hat er auf die noch ausstehende Stellungnahme zu seinen letzten Schriftsätzen hingewiesen, insbesondere zur Frage des handschriftlichen Vermerks.

Mit Beschluss vom 4.12.2002 hat das Nachlassgericht angekündigt, die vom Beteiligten zu 4 beantragten Erbscheine zu erteilen. Mit Schriftsatz vom 19.12.2002, beim Nachlassgericht eingegangen am 23.12.2002, hat der Beteiligte zu 1 die von seinem Verfahrensbevollmächtigten am 19.12.2002 notariell beglaubigte Ausschlagung der Erbschaft als testamentarischer Miterbe vorgelegt, die wie folgt lautet:

"Ich habe ... einen Erbschein beantragt, der mich als gesetzlichen Alleinerben ausweisen soll. Ich habe von Notar B. nunmehr das Protokoll vom 19.12.1995 erhalten, das unter dem Aktenzeichen ... am 19.12.1995 errichtet worden ist ...

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