Leitsatz (amtlich)
Zur Auslegung einer Vollmacht als Erbeinsetzung.
Normenkette
BGB §§ 133, 2247
Verfahrensgang
AG Augsburg (Beschluss vom 11.09.2015; Aktenzeichen VI 0012/03) |
Tenor
1. Der Beschluss des AG Augsburg - Nachlassgericht - vom 11.09.2015 wird aufgehoben.
2. Das AG Augsburg - Nachlassgericht - wird angewiesen, der Beteiligten zu 2 einen Erbschein zu erteilen, der inhaltlich gleichlautend ist mit dem Erbschein, der mit Beschluss vom 11.09.2015 eingezogen wurde.
Gründe
I. Die ledige Erblasserin ist am 16.12.2002 im Alter von 77 Jahren verstorben. Das Nachlassgericht erteilte am 25.1.2006 einen Erbschein aufgrund gesetzlicher Erbfolge, der die Beteiligten zu 1 - 3 als Miterben ausweist.
Mit Schreiben vom 18.8.2015 legte der Beteiligte zu 4 ein Schreiben der Erblasserin (Brief) vom 20.10.1975 vor, das er nach seinem Vorbringen erst jetzt bei Durchsicht seiner Unterlagen aufgefunden habe.
Das Schreiben lautet wie folgt:
(Ort), 20.10.75
An das (= Beteiligter zur 4)!
Habe mich entschlossen nach meinem Tode mein Vermögen (Bar u.. Wertpapiere; C. bank; A.) dem (= Beteiligter zu 4) zur Verfügung zu stellen. Sollte mir unerwartet etwas zustossen, dann halten Sie dieses Schreiben als Vollmacht!
(Ort), 20.10.75 (Unterschrift) Mit Beschluss vom 11.09.2015 ordnete das Nachlassgericht, die Einziehung des Erbscheins vom 25.1.2006 ein, da das Schreiben vom 20.10.1975 eine Erbeinsetzung enthalte. Gegen diesen Beschluss wenden sich die Beteiligte zu 2, die den ihr erteilten Erbschein bereits dem Nachlassgericht übersandt hat, sowie der Beteiligte zu 3.
II. Die zulässigen Beschwerden (bzgl. der Beteiligten zu 2 im Sinne des § 353 Abs. 2 FamFG) haben in der Sache Erfolg. Die Voraussetzungen für eine Einziehung des Erbscheins liegen nicht vor. Der Senat teilt nicht die Auffassung des Nachlassgerichts, dass die Erblasserin mit dem Brief vom 20.10.1975 ein Testament im Sinne des § 2247 BGB errichtet hat und darin den Beteiligten zu 4 zu ihrem Erben eingesetzt hat. Insoweit ist der Erbschein vom 25.1.2006, der die Erbfolge nach der Erblasserin kraft Gesetzes ausweist, inhaltlich zutreffend.
1. Grundsätzlich kann in einem vom Erblasser eigenhändig geschriebenen und unterschriebenen Brief der letzte Wille des Erblassers enthalten sein. Eine solche schriftlich niedergelegte Erklärung des Erblassers kann allerdings, auch wenn sie den formalen Voraussetzungen des § 2247 BGB genügt, nur dann als letztwillige Verfügung gelten, wenn sie auf einem ernstlichen Testierwillen des Erblassers beruht. Daher muss außer Zweifel stehen, dass der Erblasser die von ihm erstellte Urkunde als rechtsverbindliche letztwillige Verfügung angesehen hat oder zumindest das Bewusstsein hatte, die Urkunde könne als Testament angesehen werden. Ob ein solcher ernstlicher Testierwille vorgelegen hat, ist im Wege der Auslegung (§ 133 BGB) unter Berücksichtigung aller erheblichen, auch außerhalb der Urkunde liegenden Umstände und der allgemeinen Lebenserfahrung zu beurteilen (BayObLG FamRZ 1999, 534, 535 m.w.N.). An den Nachweis des Testierwillens sind bei einem Brieftestament strenge Anforderungen zu stellen (BayObLGZ 2000, 274, 277). Die Vorschrift des § 2084 BGB findet bei verbleibenden Zweifeln keine Anwendung (vgl. BayObLG FamRZ 1990, 672; 2001, 944, 945).
2. Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ist der Senat im Gegensatz zu dem Nachlassgericht nicht davon überzeugt, dass die Erblasserin mit dem Schreiben vom 20.10.1975 eine letztwillige Verfügung errichtet hat und darin den Beteiligten zu 4 zu ihrem Erben berufen hat.
a) Der Umstand, dass die Erblasserin das Schreiben nicht als Testament bzw. als "letzter Wille" bezeichnet hat, stellt kein tragfähiges Indiz gegen die Errichtung eines Testaments dar. Für die Auslegung des Schriftstücks als letztwillige Verfügung ist nämlich das Fehlen einer ausdrücklichen Bezeichnung des Schriftstücks als "Testament", "Mein letzter Wille" oder eines ähnlichen Ausdrucks unschädlich. Entscheidend ist, dass sich aus dem Schriftstück der Wille der Erblasserin ergibt, die Folgen ihres Todes ernsthaft und umfassend zu regeln (BayObLG FamRZ 2005, 656, 657).
Vor dem Hintergrund, dass die Erblasserin in ihrem Schreiben zum Ausdruck bringt, dass der Beteiligte zu 4 nach ihrem Tod "ihr Vermögen" erhalten soll (Satz 1), und diesem für den Fall, dass ihr "unerwartet etwas zustoßen soll", das Schreiben als "Vollmacht" dienen soll (Satz 2), hat das Nachlassgericht zu Recht die Errichtung einer letztwilligen Verfügung der Erblasserin in Erwägung gezogen. Denn darin liegt eine Anordnung der Erblasserin, die zeitlich unmittelbar auf ihren Tod bezogen ist. Hierin unterscheidet sich die hier inmitten stehende Formulierung der Vollmacht zu der, die der Entscheidung des BayObLG FamRZ FamRZ 2000, 1539, 1540 zugrunde lag ("Bankvollmacht"). Dort fand sich kein Hinweis auf den Tod des Erblassers oder darauf, dass die Rechtsmacht gerade auch für diesen Fall erteilt werden sollte.
2. Der Senat ist aber nicht davon überzeugt, dass die Erblasserin in dem Brief ...