Entscheidungsstichwort (Thema)

Schadenersatz- und Schmerzensgeldanspruch wegen behaupteter fehlerhafter ärztlicher Behandlung (Schulterdystokie) im Zusammenhang mit der Geburt der Klägerin; unzureichende ärztliche Dokumentation

 

Normenkette

BGB § 823

 

Verfahrensgang

LG Ingolstadt (Urteil vom 06.08.2008; Aktenzeichen 42 O 882/07)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des LG Ingolstadt vom 6.8.2008 - 42 O 882/07 aufgehoben.

II. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld von 60.000 EUR nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab 20.6.2007 zu bezahlen.

III. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin den ihr durch die anlässlich der Geburt am 28.6.2003 erlittene gesundheitliche Beeinträchtigung (Armplexusparese rechts, Schlüsselbeinfraktur u.a. infolge nicht fachgerechter Behebung einer Schulterdystokie) bereits entstandenen und künftig noch entstehenden materiellen Schaden sowie zukünftig noch entstehenden immateriellen Schaden zu ersetzen, soweit der Anspruch nicht auf Sozialversicherungsträger und/oder sonstige Dritte übergegangen ist oder noch übergeht.

IV. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.924,07 EUR außergerichtliche Rechtsanwaltsgebühren zzgl. Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 1.907,57 EUR seit 20.6.2007 und aus 1.016,50 EUR seit 5.12.2007 zu erstatten.

V. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

VI. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

VII. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, sofern nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

VIII. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin macht ggü. dem Beklagten Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche wegen behaupteter fehlerhafter ärztlicher Behandlung im Zusammenhang mit ihrer Geburt geltend.

Die Klägerin wurde am 28.6.2003 im Kreiskrankenhaus E. geboren. Der Beklagte begleitete die Geburt als verantwortlicher Belegarzt, nachdem er die Mutter der Klägerin bereits in der Schwangerschaft ärztlich betreut hatte. Die Zeugin K. war als Hebamme tätig. Am 28.6.2003 - neun Tage nach dem errechneten Geburtstermin - entschloss sich der Beklagte gegen 11 Uhr, die Geburt der Klägerin einzuleiten. Um 13 Uhr war der Muttermund zwei bis drei Zentimeter weit geöffnet. Um 15 Uhr platzte die Fruchtblase und es ging leicht grünlich verfärbtes Fruchtwasser ab. Gegen 17 Uhr hatte sich der Muttermund bis auf eine Weite von sieben bis acht Zentimetern eröffnet. Der Beklagte erwog eine sectio, führte sie jedoch nicht durch. Um 17.30 Uhr erhielt die Gebärende eine Periduralanästhesie. Um 19.10 Uhr war der Muttermund vollständig eröffnet. Zum Stand des kindlichen Köpfchens ist in der Dokumentation vermerkt "Kopf folgt bis hinter die Symphyse". Die Wehentätigkeit war zu diesem Zeitpunkt vollständig sistiert. Nach einem Pressversuch trat bei der Klägerin eine tiefe Dezeleration der Herztätigkeit ein. Um 19.18 Uhr wurde ein Wehentropf zur Anregung der Wehentätigkeit angelegt. Um 19.28 Uhr entschloss sich der Beklagte, die Geburt der Klägerin mittels Vakuumextraktion zu beenden. Nach insgesamt drei Zügen mit der Saugglocke löste sich die Glocke vom Kopf der Klägerin. Nach Anlegen einer Episiotomie konnte der Kopf der Klägerin mit Hilfe einer "Bamberger Divergenzzange" entwickelt werden. Nach der Entwicklung des Kopfes kam es zu einer Schulterdystokie. Die Klägerin blieb mit der rechten Schulter am Schambein der Mutter hängen. Gleichzeitig trat bei der Mutter eine vollständige Atonie am Uterus ein. Die Herztöne der Klägerin sanken auf 90 Schläge pro Minute ab; infolge Kompression der Nabelschnur war die Sauerstoffversorgung unterbrochen. Dem Beklagten und der Hebamme gelang es, die Geburt der Klägerin bis 19.35h zu beenden, wobei streitig ist, von wem welche Handlungen im Einzelnen ausgeführt wurden.

Bei ihrer Geburt wog die Klägerin 4.350 Gramm und war 56 cm groß. Die Apgarwerte betrugen 7/9/10.

Bereits unmittelbar nach der Geburt fiel die mangelnde Beweglichkeit des rechten Armes der Klägerin auf. Im Geburtsprotokoll wurde vermerkt: "Reanimation des schlaffen Kindes, Entwicklung der Schulter erschwert, insbesondere der re. Schulter". Unter dem Stichwort "Therapie" heißt es im Geburtsformular:"Armschwäche re". Bei der U2-Basisuntersuchung am 30.6.2003 wurde eine Plexusparese rechts vermerkt. Der Arztbrief der Klinik vom 07.07.3003 enthielt keinen Hinweis auf die Schulterdystokie und die Armschwäche (Anlage B 1).

Fachchirurgische Untersuchungen der Klägerin im F. hospital A. ergaben folgende Diagnosen:

  • Kindliche Plexuslähmung subtotale rechts
  • Neurom Truncus superior
  • Ausriss C 7
  • Fraglicher Ausriss C 8.

Ausweislich mehrerer ärztlicher Atteste ist die Klägerin trotz mehrerer Operationen und Krankengymnastik in der Bewegungs- und Funktionsfähigkeit des rechten Armes und der r...

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