Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung, verfassungsmäßig berufener Vertreter, Streitwertfestsetzung, Berufungsrücknahme, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Tatrichterliche Würdigung, Nutzungsentschädigung, Teilweise Klagerücknahme, Vorsätzliche unerlaubte Handlung, Maßgeblicher Zeitpunkt, Geschäftsgebühr, Außergerichtliche Rechtsverfolgung, Darlegungs- und Beweislast, Prozeßbevollmächtigter, Wirtschaftliche Identität, Zug-um-Zug-Leistung, Nicht nachgelassener Schriftsatz, Vorteilsausgleichung, Art der Schadensberechnung, Streitgegenstand
Verfahrensgang
LG Ingolstadt (Urteil vom 08.04.2022; Aktenzeichen 31 O 3306/21) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 08.04.2022, Gz. 31 O 3306/21 Die, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 6.504,01 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 24.01.2022 zu bezahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weitergehende Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen trägt der Kläger 65% und die Beklagte 35%.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 40.681,06 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger macht gegen die Beklagte Schadensersatz wegen des Kaufs eines Dieselfahrzeugs geltend.
Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
1. Der Kläger erwarb am 11.10.2012 von der Autozentrum N. GmbH, einen von der Beklagten hergestellten Audi Q5 3.0 TDI Quattro, als Neufahrzeug zum Kaufpreis von 65.040,09 EUR brutto. Das am 18.10.2012 erstzugelassene Fahrzeug verfügt über einen von der Beklagten entwickelten und hergestellten V-TDI-Dieselmotor mit der Abgasnorm Euro 5. In dem Fahrzeug kommt eine Abgasrückführung zur Anwendung, die sich mindernd auf die Stickoxidemissionen auswirkt, jedoch außerhalb eines bestimmten Außentemperaturbereichs abgeschaltet beziehungsweise reduziert wird (sogenanntes Thermofenster).
Für das streitgegenständliche Fahrzeug existiert kein Rückruf des Kraftfahrtbundesamts (KBA).
Im Rahmen einer freiwilligen Service-Maßnahme der Beklagten wurde am 13.05.2020 ein Software-Update zur Aufweitung der temperaturabhängigen Abgasrückführung durchgeführt.
Der Kilometerstand betrug am 24.09.2023 129.457 km.
2. Der Kläger hat erstinstanzlich zuletzt beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger EUR 46.877,64 nebst Zinsen, Zug um Zug gegen Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs, zu bezahlen und hilfsweise festzustellen, dass die Beklagte für die aus dem Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung resultierenden Schäden dem Kläger gegenüber ersatzpflichtig sei, die Beklagte sich im Annahmeverzug befinde und dass der Schadenersatzanspruch aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung der Beklagten herrühre. Weiter begehrte der Kläger von der Beklagten die Freistellung von den Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 3.196,34 EUR.
3. Das Landgericht Ingolstadt hat mit Endurteil vom 08.04.2022 die Klage mit der Begründung abgewiesen, die unter Mitwirkung des KBA veranlasste, freiwillige Servicemaßnahme "Software-Update-Dieselmotoren" biete keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass geltende Normen zur Schadstoffemission unter Einsatz unzulässiger Abschalteinrichtungen verletzt worden wären. Das im Fahrzeug integrierte Thermofenster vermöge mangels sittenwidriger Handlung der Beklagten einen Anspruch nach § 826 BGB nicht zu begründen.
Gegen diese Entscheidung wendet sich der Kläger mit der Berufung. Er hat zunächst den Anspruch aus §§ 826, 31 BGB wegen des Einsatzes eines sog. Thermofensters weiterverfolgt. In die Motorsteuerungssoftware sei ein Thermofenster integriert, das eine vollständige Leistung des Emissionskontrollsystems nur zwischen 15 °C und 33 °C und unterhalb von 1.000 Metern gewährleiste. Außerhalb dieses Temperaturbereichs werde die Abgasreinigung erheblich reduziert bzw. komplett zurückgefahren, so dass sie in Deutschland bei normalen Nutzungsbedingungen in der Regel nicht funktioniere. Dabei handele es sich um eine unzulässige Abschalteinrichtung. Motorschutzgründe könnten der Beklagten offensichtlich nicht als Rechtfertigung dienen. Der Kläger habe das Fahrzeug in Unkenntnis der nicht gesetzeskonformen Motorsteuerungssoftware erworben. Dies hätte er nicht getan, hätte er gewusst, dass das Fahrzeug zwar formell über eine Typgenehmigung verfügte, diese aber nicht hätte erhalten dürfen und daher Maßnahmen bis zur Stilllegung drohten.
Nunmehr richtet sich sein Begehren in der Berufungsinstanz auf den Differenzschaden gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 27 Abs. 1, 6 Abs. 1 EG-FGV. Aufgrund der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung habe im Zeitpunkt des Kaufs keine ordnungsgemäße Übereinstimmungserklärung vorgelegen. Der Beklagten sei insoweit auch ein Fahrlässigkeitsvorwurf zu machen. Auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum könne...