Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall bei Überholen. Haftungsverteilung
Normenkette
BGB § 286 Abs. 2 Nr. 3; StVG § 17 Abs. 2; StVO § 35 Abs. 8; BGB § 286 Abs. 1, § 288 Abs. 1, § 291; StVG § 17 Abs. 1, § 18 Abs. 3; StVO § 9 Abs. 1 S. 4, § 35 Abs. 5a, § 38 Abs. 1 S. 2; ZPO § 5 Abs. 3 Nr. 1, §§ 528, 529 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
LG München II (Urteil vom 18.05.2017; Aktenzeichen 3 O 153/15) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten vom 26.06.2017 wird das Endurteil des LG München II vom 18.05.2017 abgeändert und wie folgt neugefasst:
I. Die Beklagten werden verurteilt, samtverbindlich an die Klägerin weitere 11.714,33 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 10.491,60 EUR für die Zeit vom 28.02.2014 bis zum 27.04.2014, aus 11.657,33 EUR seit dem 28.04.2014 und aus 57,00 EUR seit dem 16.01.2015 zu bezahlen.
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Von den Kosten des Verfahrens (erster Instanz) tragen die Klägerin 44% und die Beklagten samtverbindlich 56%.
2. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
3. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin 89% und die Beklagten samtverbindlich 11%.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
6. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 10.534,35 EUR festgesetzt.
Gründe
A. Von einer Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen (§§ 540 II, 313 a I 1 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO sowie §§ 540 II, 313 b I 1 ZPO).
B. I. Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache überwiegend Erfolg. Denn die Haftung ist entgegen dem Ersturteil nicht im Verhältnis 100 zu 0 zu Lasten der Beklagten zu verteilen, sondern nur im Verhältnis 2/3 zu 1/3 zu Lasten der Beklagten.
1.) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist das Ersturteil allerdings insoweit nicht zu beanstanden, als sich das Landgericht davon überzeugt hat, dass das klägerische Fahrzeug gem. § 35 V a StVO im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall von den Vorschriften der StVO befreit war. Voraussetzung hierfür ist, dass höchste Eile geboten war, um Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden. Für die Beurteilung, ob dies der Fall war, kommt es nicht auf die Betrachtung ex post an. Vielmehr ist allein entscheidend, ob der Einsatzfahrer (der Zeuge L.) sich nach der ihm bekannten Lage für berechtigt halten durfte, die Sonderrechte in Anspruch zu nehmen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 06.01.2010, Az.: IV - 3 RBs 95/09, juris). Soweit sich das Erstgericht aufgrund der Aussage des Zeugen L. davon überzeugt hat, dass das Rettungswagen-Team von der Rettungsleitstelle F. angefordert worden war, um zu einer kollabierten Person zu fahren, ist dies nicht zu beanstanden und für den Senat daher gem. § 529 I Nr. 1 ZPO bindend. Dass ein Kollaps Symptom einer lebensbedrohlichen Erkrankung (etwa eines Herzinfarktes) sein kann, darf als allgemein bekannt vorausgesetzt werden. Das Erstgericht war im Übrigen nicht gehalten, diesbezüglich von Amts wegen weitere Nachforschungen vorzunehmen. Die Beklagten wiederum hatten sich darauf beschränkt, es weiterhin zu bestreiten, "dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs berechtigt war, Sonderrechte in Anspruch zu nehmen" (vgl. den Beklagten-Schriftsatz vom 24.09.2015 = Bl. 59 d.A.), ohne Gegenbeweis anzubieten.
Der Einwand der Beklagten im Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 15.12.2017 (Bl. 207/210 d.A.), der Senat weiche mit seiner o.g., den Parteien bereits in der Verfügung des Vorsitzenden vom 06.10.2017 (Bl. 194/197 d.A.) mitgeteilten Auffassung von der Rechtsprechung des Kammergerichts gem. Urteil vom 16.12.1991, Az.: 12 U 202/9, VersR 1992,1129, ab, ist nicht nachvollziehbar. Denn dass die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Sonderrechts auf freie Fahrt vorgelegen haben, derjenige trägt, der sich darauf beruft (hier ist dies die Klägerin), steht außer Frage. Was die Beklagten in Wirklichkeit beanstanden, ist nicht die Anwendung des Rechts durch das Erstgericht (bzw. nun auch den Senat) auf den vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt, sondern die erstinstanzliche Beweiswürdigung. Diese ist indes, wie bereits ausgeführt, nicht zu beanstanden.
2.) Das Ersturteil ist jedoch insoweit zu beanstanden, als sich das Landgericht davon überzeugt hat, dass der klägerische Fahrer die Sonderrechte unter gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung i.S.d. § 35 VIII StVO ausgeübt hat. So hat das Erstgericht - insoweit in nicht zu beanstandender und den Senat daher gem. § 529 I Nr. 1 ZPO bindender Weise - festgestellt, dass der Beklagte zu 2) den linken Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt und dass auch der Zeuge L. erkannt hatte, dass der Beklagte zu 2) nach links abbiegen wollte. Folgerichtig hat das Landgericht die Situation als für den Zeugen L. unklare Verkehrslage...