Entscheidungsstichwort (Thema)
Verkehrsunfallhaftung: Haftungsverteilung bei Vorfahrtverletzung und Geschwindigkeitsüberschreitung des bevorrechtigten Fahrzeugs; Bemessung des Schmerzensgeldes für eine HWS-Distorsion ohne Vorliegen einer Erwerbsunfähigkeit
Normenkette
StVG § 17 Abs. 1; StVO § 11 Abs. 3
Verfahrensgang
LG Ingolstadt (Urteil vom 21.11.2012; Aktenzeichen 33 O 1650/09) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin vom 11.12.2012 wird das Endurteil des LG Ingolstadt vom 21.11.2012 (Az. 33 O 1650/09) abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagten werden verurteilt, samtverbindlich an die Klägerin 3.117,72 EUR und ein Schmerzensgeld von 300 EUR nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 25.8.2009 sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten von 359,50 EUR zu bezahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen und die Berufung zurückgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Klägerin 38 %, die Beklagten samtverbindlich 62 %. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin 15 %, die Beklagten samtverbindlich 85 %.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
5. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 2.046,02 EUR festgesetzt.
Tatbestand
A. Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen (§§ 540 II, 313a I 1 ZPO i. Verb. m. § 26 Nr. 8 EGZPO).
Entscheidungsgründe
B. Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache überwiegend Erfolg.
I. Das LG ist zu Unrecht von einer Haftungsverteilung von 1/3 zu 2/3 zu Lasten der Klägerin ausgegangen. Bei Heranziehung der vom LG ermittelten Tatsachen haften die Beklagten zu 2/3 des der Klägerin entstandenen berechtigten Schadens einschließlich Zinsen und vorgerichtlicher Anwaltskosten.
1. Zutreffend hat die Berufungsklägerin darauf hingewiesen, dass auf Grund der vom Erstgericht durchgeführten Beweisaufnahme (Anhörung, Zeugeneinvernahme, Sachverständigengutachten) feststeht, dass das klägerische Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt stand, der Beklagte zu 1) mit einer zu hohen Ausgangsgeschwindigkeit fuhr und dieser bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit den Unfall räumlich und zeitlich hätte vermeiden sowie problemlos auf das langsame Einfahren und Stehenbleiben der Klägerin reagieren können.
Angesichts dieser Ausgangslage ist die vom LG vorgenommene Haftungsverteilung zu Lasten der Klägerin nicht tragfähig (§ 17 I StVG). Der Verstoß des Beklagten zu 1) gegen §§ 1 II, 11 III StVO erscheint im Hinblick auf die Unfallvermeidbarkeit und die doch deutlich überhöhte Geschwindigkeit als so schwerwiegend, dass die Beklagten überwiegend haften. Die von der Berufungsklägerin angenommene Haftungsverteilung von 2/3 zu 1/3 zu Lasten der Beklagten ist bei Beachtung der jeweiligen Verschuldensanteile der unfallbeteiligten Fahrer sachgerecht.
Dabei ist vor allem zu beachten, dass von einer gewissen Sichtbehinderung der Klägerin durch geparkte Fahrzeuge auszugehen ist, wie in der Skizze des Sachverständigen auf Bl. 75 d.A. festgehalten ist. Dem widerspricht auch nicht die Aussage der Zeugin B. (vgl. S. 3 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 17.3.2010, Bl. 33 d.A.), da die Zeugin nur angegeben hat, dass sie keine Sichtbehinderung durch die geparkten Autos hat feststellen können. Dies beweist, dass geparkte Fahrzeuge vorhanden waren (wie die Klägerin auf S. 3 der Klage vorgetragen hat), nicht aber, dass die Klägerin freie Sicht auf den Beklagten zu 2) gehabt habe. Selbst wenn man wie das LG davon ausgeht, dass die Klägerin nicht so weit in die Straße hineinfahren hätte müssen, um das vom Beklagten zu 1) gesteuerte Fahrzeug sehen zu können, ist ihr insoweit trotz ihres festzustellenden Vorfahrtsverstoßes zugute zu halten, dass sie nur langsam gefahren war und beim Erkennen des Beklagtenfahrzeugs sofort angehalten hat.
Die vom Beklagten zu 1) gefahrene Geschwindigkeit war deutlich zu hoch. Der Sachverständige konnte in seinem Gutachten zwar nur eine Bandbreite von 64 bis 79 km/h angeben. Auf Grund der bereits vom LG als glaubwürdig eingeschätzten Zeugen B. (vgl. S. 7 des Ersturteils, 3. Absatz) ist davon auszugehen, dass die vom Beklagten zu 1) gefahrene Geschwindigkeit über 70 km/h gelegen haben muss. Beide Zeugen haben von einer hohen Geschwindigkeit gesprochen. Der Beklagte zu 1) sei bereits mit hoher Geschwindigkeit eingebogen und habe dann noch weiter beschleunigt. Gleichzeitig berichteten beide Zeugen, dass ihnen das vom Beklagten zu 1) gesteuerte Fahrzeug, ein Mercedes SL 500, durch ein hohes Motorengeräusch aufgefallen ist. Der Senat verkennt nicht, dass die Schätzung von Geschwindigkeiten durch Zeugen mit Vorsicht zu begegnen ist. Dennoch erlaubt die glaubhafte Schilderung von Zeugen über ein rasantes Fahren, wahrgenommene hohe Geschwindigkeiten und die Feststellung eines hohen Motorgeräusches den Schluss, von einer höheren Geschwindigkeit auszugehen als der vom Sachverständig...