Leitsatz (amtlich)
Rechtsanwaltskosten, Berufung, Annahmeverzug, Fahrzeug, Software, Staatsanwaltschaft, Vertragsschluss, Zulassung, Feststellung, Erstattung, Zeitpunkt, Freistellung, Technik, betrug, Zug um Zug, kein Anspruch, keine Divergenz
Verfahrensgang
LG Ingolstadt (Urteil vom 23.01.2020; Aktenzeichen 72 O 2383/18) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 23.01.2020, Az. 72 O 2383/18, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei einen Betrag in Höhe von 22.623,85 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 25.130,45 EUR vom 08.03.2019 bis 18.12.2019 und aus 23.330,63 EUR vom 19.12.2019 bis 01.05.2022 sowie aus 22.623,85 EUR seit dem 02.05.2022 Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs Audi Q5, FIN ...513 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.358,86 EUR freizustellen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Die Klagepartei hat von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz 32%, die Beklagte 68% zu tragen.
2. Im Übrigen werden die Berufung der Beklagten und die Berufung der Klagepartei zurückgewiesen.
3. Die Klagepartei hat von den Kosten des Berufungsverfahrens 36%, die Beklagte 64% zu tragen.
4. Das Urteil und das Urteil des Landgerichts Ingolstadt - soweit es aufrechterhalten wird - sind vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch die Klagepartei durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht die Klagepartei vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
I. Gegenstand des Rechtsstreits sind Ansprüche, die die Klagepartei gegen die Beklagte wegen des Erwerbs eines Diesel-Pkws geltend macht.
Die Klagepartei erwarb am 09.03.2015 zu einem Preis von 30.500 EUR brutto von einem Dritten ein Gebrauchtfahrzeug Audi Q5 2.0 TDI, quattro S tronic, 125 kw (170 PS), Erstzulassung 04.10.2011. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor EA189 ausgestattet. Für den Fahrzeugtyp wurde die Typgenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 mit der Schadstoffklasse Euro 5 erteilt. Die Beklagte ist die Herstellerin des Pkws. Der Kilometerstand bei Erwerb betrug 40.850 km, zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung erster Instanz am 19.12.2019 74.572 km und zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 02.05.2022 81.948 km.
Zur Abgasreinigung wird im streitgegenständlichen Fahrzeug die Abgasrückführung eingesetzt. Das Fahrzeug ist betroffen von einem Rückruf durch das Kraftfahrtbundesamt mit der Begründung "unzulässige Abschalteinrichtung". Die im Zusammenhang mit dem Motor (zunächst) verwendete Software erkennt, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) unterzogen wird und schaltet in diesem Fall in den Abgasrückführungsmodus 1, einen Stickoxid (NOx)-optimierten Modus. In diesem Modus findet eine Abgasrückführung mit niedrigem Stickoxidausstoß statt. Im normalen Fahrbetrieb außerhalb des Prüfstands schaltet der Motor dagegen in den Abgasrückführungsmodus 0, bei dem die Abgasrückführungsrate geringer und der Stickoxidausstoß höher ist. Für die Erteilung der Typgenehmigung der Emissionsklasse Euro 5 maßgeblich war der Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand. Die Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm wurden nur im Abgasrückführungsmodus 1 eingehalten.
Die Klagepartei ließ das vom Kraftfahrtbundesamt freigegebene und zur weiteren Nutzbarkeit des Fahrzeugs erforderliche Softwareupdate am 03.04.2017 aufspielen.
Vorgerichtlich forderte die Klagepartei mit anwaltlichem Schreiben vom 13.12.2018 die vollständige Kaufpreiserstattung abzüglich einer Nutzungsentschädigung ohne Benennung von Kilometerleistungen Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs sowie die Zahlung der Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung unter Fristsetzung bis zum 20.12.2018.
Mit Klage vom 21.12.2018, bei Gericht eingegangen am 03.01.2019 und der Beklagten zugestellt am 07.03.2019, forderte die Klagepartei zuletzt die Erstattung des vollständigen Kaufpreises nebst Delikts- bzw. Verzugszinsen Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs, die Feststellung von Annahmeverzug der Beklagten mit der Rücknahme des Fahrzeugs und die Verurteilung zur Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.
Ergänzend wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen, § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO.
Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 23.01.2020 teilweise zugesprochen, nämlich verurteilt zur Zahlung in Höhe von 26.531,17 EUR nebst Verzugszinsen Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs und Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.358,86 EUR bei einer Kostenverteilung von 24% zu Lasten der Klagepartei und 76% zu Lasten der Beklagten. Die Beklagte hafte nach § 826 BGB.
Hiergegen richten sich die von beiden Pa...