Leitsatz (amtlich)
Ein Überholmanöver stellt auch für einen nicht alkoholisierten Fahrer erhöhte Anforderungen an sein Fahrverhalten (§ 5 StVO). Führt ein Fahrer im Zustand absoluter Fahruntüchtigkeit ein Überholmanöver durch, hat er als Versicherungsnehmer und damit Gegner des für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 61 VVG beweisbelasteten Versicherers dadurch noch keine Umstände für die Möglichkeit eines abweichenden Geschehensablaufs nachgewiesen, dass er durch das Ausscheren eines vor ihm fahrenden Pkw im Rahmen des Überholvorgangs überrascht worden sein will.
Verfahrensgang
LG Stendal (Urteil vom 08.03.2004; Aktenzeichen 21 O 289/03) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 8.3.2004 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer - Einzelrichter - des LG Stendal abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Wert der Beschwer des Klägers und der Streitwert für den Berufungsrechtszug werden auf 7.167,66 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird Bezug genommen.
Der Kläger macht gegen die Beklagte einen Anspruch auf Versicherungsleistung aus einer Vollkaskoversicherung geltend, die er für den Pkw der Marke Nissan Primera, amtliches Kennzeichen ... bei der Beklagten unterhielt.
Der Kläger befuhr mit seinem Pkw am 23.1.2003 die Ortsverbindungsstraße L 8 von W. kommend in Richtung E. In Höhe des Kilometers 0,2 wollte er vor ihm fahrende Fahrzeuge überholen, was aber zunächst wegen Gegenverkehrs nicht möglich war. In Höhe der Einmündung St. setzte der Kläger dann zum Überholen an.
Der Pkw des Klägers erlitt in der Folge des Unfalls einen Totalschaden über einen gutachterlich festgestellten Wert von 7.500 Euro.
Zur Unfallzeit betrug die Blutalkoholkonzentration des Klägers 1,15 Promille. Gegen ihn erließ das AG Salzwedel wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung durch Trunkenheit seit dem 18.9.2003 einen Strafbefehl über 50 Tagessätze, entzog die Fahrerlaubnis und sprach eine Sperrfrist von 12 Monaten aus. Wegen des Weiteren Inhalts der Ermittlungsakten wird auf die beigezogenen Akten der Staatsanwaltschaft Stendal, Geschäftszeichen 571 Js 2878/03 Bezug genommen.
Unter Bezugnahme auf die Alkoholisierung des Klägers lehnte die Beklagte ihre Einstandspflicht ab.
Der Kläger hat behauptet, sein Fahrverhalten zur Unfallzeit sei nicht alkoholbedingt gewesen. Das Ausscheren des vor ihm befindlichen Fahrers G. habe ihn instinktiv mit einem Ausscheren nach Links handeln lassen. Dies habe keinen Fahrfehler dargestellt, sondern sei eine normale menschliche Reaktion gewesen, denn im Zweifel weiche ein Fahrer einer Gefahrenquelle aus und fahre nicht auf diese zu. Er hat die Auffassung vertreten, unter Berücksichtigung des Schadens über 7.500 Euro und seiner Selbstbeteiligung von 332,34 Euro sei die Beklagte zu einer Versicherungsleistung von 7.167,66 Euro verpflichtet.
Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 7.167,66 Euro nebst Zinsen i.H.v. 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 8.10.2003 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat behauptet, der Fahrer E.G. habe sein Überholmanöver abgebrochen, bevor er die Mittellinie der Fahrbahn überquert habe. Infolgedessen habe sich für den Kläger keine Situation ergeben, die ein Ausweichen erforderlich gemacht habe. Das Fahrverhalten des Klägers sei eindeutig auf alkoholbedingte Ausfallerscheinungen zurückzuführen. Insbesondere das starke Übersteuern nach rechts sei ein Indiz dafür, dass der Kläger den Verlauf der Fahrbahn und die Reaktion seines Fahrzeugs nicht ordnungsgemäß eingeschätzt habe.
Die 1. Zivilkammer - Einzelrichter - des LG Stendal hat auf der Grundlage der prozessleitenden Anordnung v. 13.11.2003 (Bl. 25 d.A.) in der mündlichen Verhandlung v. 2.2.2004 Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen N.O. und U.G. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift (Bl. 31 ff. d.A.) Bezug genommen.
Die Kammer hat die Beklagte mit dem am 8.3.2004 verkündeten Urteil verurteilt, an den Kläger 7.167,66 Euro nebst Zinsen i.H.v. 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 8.10.2003 zu zahlen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, grundsätzlich sei zwar bei absoluter Fahruntüchtigkeit nach den Regeln des Anscheinsbeweises auf ihre Ursächlichkeit für den Unfall zu schließen; damit sei hier aber nur vorläufiger Beweis erbracht. Der Kläger habe den vorläufigen Beweis erschüttert, denn er habe die ernsthafte Möglichkeit dargetan und bewiesen, dass sich der Unfall ohne Alkoholisierung in gleicher Weise hätte ereignen können. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe zur Überzeugung der Kammer fest, dass dem Unfall eine Situation vorangegangen sei, die auch bei einem nicht alkoholisierten Fahrer eine Ausweichreaktion provoziert hätte. Die Beklagte habe deshalb den vollständigen Beweis einer Ursächlichkeit der Alkoholisierung für den Unfall führen müssen. Dem sei sie nicht na...