Leitsatz (amtlich)
1. Ist durch Straßenbauarbeiten zwischen einem Gullyeinlauf und dem normalen Straßenbelag eine ziemlich plötzlich abfallende Kante in Höher von 15-20 cm entstanden, verletzt dies die Verkehrssicherungspflicht.
2. Sind dem Geschädigten als ortskundigem Verkehrsteilnehmer die Bauarbeiten bekannt und konnte er aufgrund von Dunkelheit nicht genau sehen, wo er hintrat, begründet das ein hälftiges Mitverschulden.
3. Hält das Berufungsgericht die erstinstanzliche Schmerzensgeldbemessung nicht für überzeugend, so darf und muss es nach eigenem Ermessen ein Schmerzensgeld festsetzen. Dabei ist bei mitwirkendem Verschulden des Verletzten nicht die entsprechende Quote des angemessenen Schmerzensgeldes zu bilden. Das Mitverschulden ist nur ein Bemessungsfaktor neben anderen.
Verfahrensgang
LG Stendal (Urteil vom 06.12.2010; Aktenzeichen 21 O 69/09) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin wird - unter Zurückweisung ihrer weitergehenden Berufung - das am 6.12.2010 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des LG Stendal - 21 O 69/09 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld i.H.v. 2.000 EUR nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hierauf seit dem 11.9.2007 sowie weitere 62,99 EUR nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hierauf seit dem 12.2.2009 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten der Anrufung des unzuständigen AG trägt die Klägerin. Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Klägerin zu 1/3 und die Beklagte zu 2/3. Die Kosten der Berufungsinstanz tragen die Klägerin zu 2/3 und die Beklagte zu 1/3.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
und beschlossen:
Der Streitwert wird für den Berufungsrechtszug auf 1.500 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Von der Darstellung des Tatbestandes wird abgesehen, §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO i V. m. § 26 Nr. 8 EGZPO.
II.1. Die Berufung ist zulässig. Die Klägerin hat ihre gem. § 511 ZPO statthafte Berufung form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet, §§ 517, 519, 520 Abs. 2 und 3 ZPO.
2. Die Berufung hat in der Sache teilweise Erfolg und führt zur Abänderung des angefochtenen Urteils dahin, dass die Beklagte verurteilt wird, der Klägerin ein Schmerzensgeld i.H.v. 2.000 EUR nebst Zinsen zu zahlen. In dieser Höhe steht der Klägerin ein Schmerzensgeld nach Art. 34 Satz 1 GG i.V.m. den §§ 839 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB, §§ 9, 10 StrG LSA zu.
a) Zutreffend hat das LG entschieden, dass die Beklagte als Trägerin der Straßenbaulast eine ihr obliegende drittgerichtete Amtspflicht verletzt hat, indem sie den Höhenunterschied zwischen dem Gullyeinlauf und dem normalen Straßenbelag weder beseitigt noch vor ihm gewarnt hat.
aa) Unstreitig ist die Beklagte für den Unfallort verkehrssicherungspflichtig. Die Beklagte hat die Straße A. in St., dazu gehört auch der Wassereinlauf (Gully), nach § 9 StrG LSA in einem verkehrssicherem Zustand zu halten bzw. falls dies nicht möglich sein sollte, vor Gefahren angemessen zu warnen.
bb) Gegen diese Pflicht hat die Beklagte verstoßen. Denn sie hat im Jahr 2006 den Fahrbahnbelag erneuert und einen Regenentwässerungsschacht gesetzt, wodurch zwischen dem Gullyeinlauf und dem normalen Straßenbelag eine ziemlich plötzlich abfallende Kante i.H.v. 15 - 20 cm entstanden ist. Dies ist ein Zustand, der nicht den normalen Verkehrsbedürfnissen entspricht.
cc) Die Amtspflicht oblag der Beklagten auch gegenüber der Klägerin, weil diese zu den zu erwartenden Straßennutzern zählte.
dd) Tatsachen, die eine Haftung der Beklagten nach § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB ausschließen könnten, sind nicht ersichtlich.
b) Die Amtspflichtverletzung der Beklagten war auch für den Sturz der Klägerin ursächlich. Nach der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin am 21.9.2006 gegen 20:15 Uhr an eben dieser Stelle aufgetreten, umgeknickt und sich verletzt hat, als sie etwas aus dem Kofferraum ihres Autos, welches vor dem Gully stand, holen wollte.
c) Zu Recht hat das LG allerdings ein hälftiges Mitverschulden der Klägerin an dem Unfall gem. § 254 Abs. 1 BGB angenommen, das bei der Bemessung des angemessenen Schmerzensgeldes zu berücksichtigen ist. Der Klägerin waren als ortskundige Verkehrsteilnehmerin die Bauarbeiten der Beklagten bekannt. Schon nach ihrem eigenen Vortrag hatte die Klägerin aufgrund der Dunkelheit nicht genau gesehen, wo sie hintrat. Dies hätte sie veranlassen müssen, den Bereich als gefährlich einzustufen und besonders vorsichtig zu sein.
d) Nach der erstinstanzlichen Beweisaufnahme - insbesondere aufgrund des schriftlichen Sachverständigengutachtens des Sachverständigen Dr. med. J. P. W. sowie den vorgelegten Urkunden - steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin durch den Sturz eine Fraktur ihres Mittelfußknochens, eine knöcherne Absprengung im Bereich des Mittelfußknochens sowie ein Supinationstrauma im Bereich ihres li...