Leitsatz (amtlich)

Für die Frage, ob ein geschädigter Beifahrer die Einschränkung der Fahrtüchtigkeit eines alkoholisierten Fahrers kannte oder erkennen musste, kommt es darauf an, ob und in welchem Umfang der Fahrer in Gegenwart des später Geschädigten alkoholische Getränke zu sich genommen hat oder welche Ausfälle, die auf alkoholbedingte Fahrtüchtigkeit schließen lassen, er gezeigt hat. Aus dem Grad der Blutalkoholkonzentration werden sich dabei - jedenfalls im Bereich der relativen Fahruntüchtigkeit - keine zwingenden Rückschlüsse auf erkennbare alkoholbedingte Ausfallerscheinungen ziehen lassen.

Mitverschulden setzt weiter voraus, dass der Beifahrer in Kenntnis der Alkoholisierung Gelegenheit hatte das Fahrzeug noch zu verlassen. Ist dieser Punkt streitig, trifft denjenigen, der den Mitverschuldenseinwand erhebt, dafür die volle Beweislast.

 

Verfahrensgang

LG Magdeburg (Urteil vom 21.07.2010; Aktenzeichen 10 O 497/10)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das am 21.7.2010 verkündete Urteil des LG Magdeburg (10 O 497/10) abgeändert:

Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger den gesamten zukünftig entstehenden Unterhaltsschaden zu ersetzen, der ihm aus dem Tod seines Vaters S. B. infolge des Unfallgeschehens vom 31.12.2008 entsteht.

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 891,31 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12.5.2010 zu zahlen.

Die Anschlussberufung der Beklagten gegen das am 21.7.2010 verkündete Urteil des LG Magdeburg (10 O 497/10) wird zurückgewiesen.

Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

und beschlossen:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 10.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Der Vater des Klägers wurde am 31.12.2008 bei einem Verkehrsunfall auf der Kreisstraße von W. Richtung D. getötet. Fahrer des Fahrzeuges war der Beklagte zu 1); das Fahrzeug war bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert. Unstreitig waren sowohl der Vater des Klägers als auch der Beklagte zu 1) im Zeitpunkt des Unfalls in erheblichen Umfang alkoholisiert. Das LG Magdeburg geht in seinem Urteil vom 20.10.2009 (29 Ns 17/09), mit dem es den Beklagten zu 1) wegen fahrlässiger Tötung zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr (ausgesetzt zur Bewährung) verurteilt hat, von einer Blutalkoholkonzentration im Zeitpunkt des Unfalls von 2o/oo aus. Der Kläger bestreitet nicht, dass sein Vater Kenntnis von der Alkoholisierung des Beklagten zu 1) hatte. Unstreitig ist weiter, dass der Vater des Klägers und der Beklagte zu 1) sich zu dem Unfallfahrzeug begeben haben, um eine CD anzuhören. Dabei saß der Vater des Klägers auf dem Fahrersitz. Unstreitig ist darüber hinaus das Unfallgeschehen selbst, also dass es bei einer Geschwindigkeit zwischen 100 und 120 km/h zu einer Kollision mit einem Baum kam und dass der Beklagte zu 1) in diesem Zeitpunkt der Fahrer des Fahrzeuges war. Alles, was zwischen dem Anhören der CD und dem Unfall geschehen ist, ist unaufgeklärt. Der Beklagte zu 1) - vom LG persönlich angehört (Bl. 29) - hat bekundet, dass seine letzte Erinnerung das Anhören der CD gewesen sei und er dabei auf dem Beifahrersitz gesessen habe. Seine Erinnerung setze dann erst wieder im Krankenhaus ein.

Der Kläger macht mit der vorliegenden Klage einen Feststellungsanspruch geltend, dass die Beklagten ihm zum Ersatz sämtlicher zukünftig entstehender Unterhaltsschäden verpflichtet sind, darüber hinaus verlangt er Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten nach einem Gegenstandswert von 10.000 EUR.

Von der weiteren Darstellung des Sachverhalts wird gem. § 540 Abs. 2 ZPO abgesehen.

Das LG hat die Beklagten als Gesamtschuldner zu einer Ersatzquote von 2/3 verurteilt. Der Kläger müsse sich ein Mitverschulden seines Vaters anrechnen lassen, weil dieser in Kenntnis der Alkoholisierung des Beklagten zu 1) in dem Fahrzeug mitgefahren sei.

Gegen dieses Urteil wenden sich der Kläger und die Beklagten mit Berufung und (unselbständiger) Anschlussberufung.

Der Kläger ist der Ansicht, dass die Berücksichtigung eines Mitverschuldens seines Vaters nicht in Betracht komme, weil die Beklagten nicht beweisen könnten, dass er die Möglichkeit gehabt habe, das Fahrzeug vor Beginn der Fahrt zu verlassen. So könne es sein, dass der Beklagte zu 1) ohne Zustimmung seines Vaters spontan losgefahren, oder er infolge der Alkoholisierung vor Beginn der Fahrt eingeschlafen sei. Da dies unaufgeklärt bleibe, komme die Berücksichtigung eines Mitverschuldens nicht in Betracht.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger seinen erstinstanzlichen Klageantrag in vollem Umfang weiter.

Die Beklagten beantragen die Zurückweisung der Berufung und im Wege der Anschlussberufung die vollständige Abweisung der Klage.

Ein Rechtschutzbedürfnis für die Feststellungsklage bestehe nicht, weil die Beklagte zu 2) ihre Ersatzpflicht dem Grunde nach anerkannt habe. Die Beklagten verweisen insoweit auf ...

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