Leitsatz (amtlich)
1.) Eine gemeinsame Betriebsstätte i.S.d. § 106 Abs. 3 SGB VII liegt bei verzahnten Arbeitsschritten von Hand-in-Hand arbeitenden Beschäftigten bis zur Beendigung des arbeitsteiligen Arbeitsvorgangs auch dann vor, wenn der Geschädigte im Moment des Unfalles untätig war.
2.) Das Haftungsprivileg des § 106 Abs. 3 SGB VII kann einer juristischen Person nur dann zugute kommen, wenn die Verletzungshandlung durch eines ihrer selbst auf der Betriebsstätte tätigen versicherten Organe begangen wurde. Wurde die Handlung durch einen ihrer haftungsbefreiten Verrichtungsgehilfen begangen, bestimmt sich die Haftung der juristischen Person nach den Grundsätzen der gestörten Gesamtschuld.
3.) Die in der Lebenswirklichkeit nahezu allgegenwärtig anzutreffenden Möglichkeiten zur Steigerung der Sicherheitseffizienz lassen für sich genommen nicht den Schluss darauf zu, dass das jeweils bestehende Sicherheitskonzept pflichtwidrige, haftungsbegründende Mängel aufweist.
Normenkette
BGB §§ 618, 823 Abs. 1, § 840 Abs. 2; SGB VII § 106 Abs. 3, § 110
Verfahrensgang
LG Nürnberg-Fürth (Aktenzeichen 8 O 2553/14) |
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 19.12.2014 wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
III. Das Urteil und das angefochtene Urteil des Landgerichts sind vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages leisten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 119.761,97 EUR festgesetzt.
Entscheidungsgründe
A. Die Klägerin begehrt als Sozialversicherungsträgerin von den Beklagten Schadenersatz wegen eines Arbeitsunfalles des Geschädigten G. N. (im Folgenden: Geschädigter).
Am 14.05.2012 gegen 08:30 Uhr ereignete sich auf dem Betriebsgelände der Beklagten zu 2), der früheren W. GmbH, ein Unfall, bei dem der Geschädigte schwer am rechten Bein verletzt worden ist.
Der Geschädigte war bei der Firma Ba. Transport GmbH als Lkw-Fahrer beschäftigt und hatte die Aufgabe, mit einem speziell hierfür vorgesehenen Lkw seiner Arbeitgeberin mehrfach am Tag Güter der Beklagten zu 2) auf deren Betriebsgelände von einem Werksteil zum anderen zu transportieren. Am Unfalltag transportierte der Geschädigte Spanplatten. Er stellte den mit den Platten beladenen Lkw seiner Arbeitgeberin am Verladeplatz der Beklagten zu 2) ab. Er öffnete die Plane des Lkw und schob zwei seitliche Rungen der Lkw-Ladefläche zur Seite, damit der Beklagte zu 1) mit Hilfe eines Gabelstaplers die Spanplatten vom Lkw abladen und auf dem Be- triebsgelände abstellen konnte. Hierzu musste der Beklagte zu 1) mit dem Gabelstapler mehrmals zwischen dem Abstellplatz für die Platten und dem Lkw hin- und herfahren und rangieren, teilweise rückwärts. Während des Entladevorgang übersah der Beklagte zu 1) bei einer Rückwärtsfahrt den Geschädigten, der sich mit dem Rücken zum Gabelstapler in dessen Rangierbereich aufgehalten hatte. Der Gabelstapler fuhr über das rechte Bein des Geschädigten, der hierdurch unter anderem einen massiven Trümmerbruch erlitt. Die erheblichen Verletzungen führten dazu, dass das rechte Bein des Geschädigten oberhalb des Kniegelenks amputiert werden musste. Er ist seitdem in seiner Erwerbsfähigkeit um 60 % gemindert. Der Unfall wurde von der Klägerin als Arbeitsunfall gemäß § 7 SGB VII anerkannt. Die Klägerin erbrachte für den Geschädigten unfallbedingte Aufwendungen, die sich (mit Ausnahme der Verletztenrente) auf 119.642,96 EUR belaufen. Sie lässt sich ein Mitverschulden des Geschädigten an der Entstehung seiner Verletzungen von 1/3 anrechnen und macht einen bezifferten Schadenersatzanspruch in Höhe von 79.761,97 EUR sowie einen Feststellungsanspruch geltend.
Die Klägerin behauptet zum Unfallhergang, der Geschädigte habe während des Entladevorgangs des Lkw nach dem Öffnen der Plane und dem Zurseiteschieben der Rungen zunächst im Führerhaus des Lkw eine Zigarette geraucht und sei sodann auf der Fahrerseite ausgestiegen, um entlang des Führerhauses um dieses vorne herum nach rechts zum Verladebüro zu gehen. Der Beklagte zu 1) sei zügig rückwärts gefahren, ohne den Blick nach hinten zu wenden. Die Klägerin meint, der Beklagte zu 1) hafte jedenfalls aus § 823 BGB, die Beklagte zu 2) aus §§ 823, 831 BGB. Darüber hinaus bestehe zwischen der Beklagten zu 2) und der Arbeitgeberin des Geschädigten ein Werkvertrag, in dessen Schutzwirkung der Geschädigte einbezogen sei. Ferner habe die Beklagte zu 2) keine ausreichenden Sicherheitsvorkehrungen für die Verhinderung derartiger Unfälle getroffen.
Die Klägerin hat in erster Instanz beantragt:
1. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin 79.761,97 EUR, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus der Klageforderung seit ...