Leitsatz (amtlich)
1. Zur analogen Anwendung von § 19 Abs. 2 RPflG in streitigen Erbscheinsverfahren.
2. Einwände gegen eine beantragte Entscheidung i.S.d. § 19 Abs. 2 RPflG sind nicht nur solche, die von Verfahrensbeteiligten oder Dritten erhoben werden, sondern auch solche, die der Nachlassrechtspfleger erhebt. Soweit sich der Nachlassrechtspfleger auf Grund eigener Einwände an einer antragsgemäßen Entscheidung gehindert sieht, hat er das Verfahren dem Nachlassrichter zur weiteren Bearbeitung vorzulegen.
Normenkette
GG Art. 92; RPflG § 8 Abs. 4, § 16 Abs. 1, § 19 Abs. 2, § 19
Verfahrensgang
AG Papenburg (Aktenzeichen 12 VI 46/24) |
Tenor
Der Beschluss des Amtsgerichts - Nachlassgericht - Papenburg vom 22.03.2024 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung über die Erteilung des Erbscheins an den Nachlassrichter des Amtsgerichts - Nachlassgericht - Papenburg zurückverwiesen.
Gründe
I. Gegenstand des Verfahrens ist die Erteilung eines Erbscheins nach dem am TT.MM.2010 verstorbenen AA (Erblasser).
Der Erblasser war in erster und einziger Ehe mit Frau GG verheiratet. Diese verstarb am TT.MM.2020. Aus der Ehe sind sechs Kinder hervorgegangen, die Beteiligten zu 1) - 5) sowie die am TT.MM.2023 nachverstorbene Tochter HH. Gesetzliche Erben der Ehefrau des Erblassers sind die gemeinsamen sechs Kinder geworden (vgl. Erbschein vom 15.05.2023, AG Papenburg 12 VI 80/23).
Am 05.01.2024 beantragten die Beteiligten zu 1) - 5) die Erteilung eines Erbscheins, wonach die Ehefrau des Erblassers dessen testamentarische Alleinerbin geworden sei. Der Erblasser habe am 15.04.2001 ein mit "Vertrag" überschriebenes handschriftliches Schreiben verfasst, welches sein Testament darstelle. Aus diesem ergebe sich die Alleinerbenstellung seiner Ehefrau.
Mit Verfügung vom 19.02.2024 wies der Nachlassrechtspfleger die Beteiligten unter anderem darauf hin, dass er den "Vertrag" abweichend von dem Erbscheinsantrag auslege. Der Erblasser habe nicht seine Ehefrau zur Alleinerbin, sondern den Beteiligten zu 2) und dessen Ehefrau JJ zu Miterben bestimmt.
Hierauf nahm der Beteiligte zu 2) seinen ursprünglichen Erbscheinsantrag am 07.03.2023 zurück und beantragte gemeinsam mit seiner Ehefrau die Erteilung eines Erbscheins, wonach beide Miterben geworden seien. Das Nachlassgericht wies hierauf mit Zwischenverfügung vom 13.03.2024 auf das Fehlen der eidesstattlichen Versicherung hin, woraufhin der Beteiligte zu 2) und seine Ehefrau ihren Erbscheinsantrag vom 07.03.2023 wieder zurücknahmen. Gleichzeitig reichten sie eine Erklärung zur Akte, wonach sie weiterhin dem ursprünglichen Erbscheinsantrag vom 05.01.2024 zustimmen würden.
Alle Beteiligten traten sodann gemeinsam den Bedenken des Nachlassgerichts entgegen und begehrten weiterhin die Erteilung des ursprünglich von ihnen beantragten Erbscheins, wonach der Erblasser von seiner Ehefrau beerbt worden sei.
Mit Beschluss vom 22.03.2024 hat das Nachlassgericht den Erbscheinsantrag durch den Nachlassrechtspfleger vom 05.01.2024 aus den Gründen der Verfügung vom 19.02.2024 zurückgewiesen.
Hiergegen wenden sich die Beteiligten zu 1) - 5) mit der form- und fristgerecht erhobenen Beschwerde, in welcher sie ihr bisheriges Vorbringen wiederholen und vertiefen.
Das Nachlassgericht hat der Beschwerde durch den Rechtspfleger nicht abgeholfen und insbesondere dazu ausgeführt, dass der Nachlassrechtspfleger für die Entscheidung und die Nichtabhilfe zuständig sei, da kein Verfahrensbeteiligter Einwendungen gegen den beantragten Erbschein erhoben habe. Für den Übergang der Zuständigkeit auf den Nachlassrichter nach § 19 Abs. 2 RPflG genüge es nicht, wenn der Nachlassrechtspfleger die Positionen der Antragsteller nicht teile. Vielmehr sei es erforderlich, dass ein Verfahrensbeteiligter oder ein Dritter Einwendungen erhebe. Das sei hier nicht der Fall.
II. Die zulässige Beschwerde hat auch in der Sache - jedenfalls vorläufig - Erfolg, weil der angefochtene Beschluss rechtswidrig ist und die Sache gem. § 69 Abs. 1 S. 2 FamFG von Amts wegen an den funktionell ausschließlich zuständigen Richter des Nachlassgerichts zurück zu verweisen ist zur erneuten Entscheidung, über die Entscheidung des beantragten Erbscheins.
Nimmt ein Rechtspfleger ein ihm nach dem Gesetz nicht übertragenes und auch nicht übertragbares Geschäft wahr, so ist seine Entscheidung nach § 8 Abs. 4 S. 1 RPflG unwirksam und im Rechtsmittelverfahren - unabhängig von ihrer etwaigen inhaltlichen Richtigkeit - aufzuheben (BGH Rpfleger 2005, 520; Sternal/Sternal, FamFG, 21. Aufl., 2023 Einl. Rn. 114; Hintzen in: Arnold/Meyer-Stolte/Rellermeyer/Hintzen/Georg, RPflG, 9. Auflage, 2022, § 8 Rn. 16; Dörndorfer, RPflG, 4. Auflage, 2023, § 8 Rn. 20). Da in einem solchen Fall keine wirksame Sachentscheidung vorliegt, ist die Sache nach § 69 Abs. 1 S. 2 FamFG an das Gericht des ersten Rechtzugs zurückverweisen (vgl. OLG Hamm FGPrax 2013, 215). Ein solcher Fall ist vorliegend gegeben.
Nach § 16 Abs. 1 Nr. 6 RPflG ist dem Richter die Erteilung von Erbscheinen (§ 2353 Bürge...