Leitsatz (amtlich)

1. Wird einem Versicherungsnehmer ein fahrlässiger Vollrausch vorgeworfen oder wird ihm zwar zunächst ein vorsätzlicher Vollrausch zur Last gelegt, letztlich aber nicht rechtskräftig festgestellt, dass er sich vorsätzlich berauscht hat, so ist ihm unter Geltung der ARB 94 Straf-Rechtsschutz auch dann zu gewähren, wenn es sich bei der im Rausch begangenen Tat um ein Verbrechen oder ein nur vorsätzlich begehbares Vergehen handelt.

2. Erhebt die Staatsanwaltschaft gegen den Versicherungsnehmer Anklage wegen eines Verbrechens oder eines nur vorsätzlich begehbaren Vergehens, so scheidet die rückwirkende Gewährung von Straf-Rechtsschutz auch dann aus, wenn der Versicherungsnehmer nur wegen fahrlässigen Vollrausches verurteilt wird. Dies gilt auch hinsichtlich vorsätzlich und fahrsässig begehbarer Vergehen, deren tateinheitliche Begehung dem Versicherungsnehmer vorgeworfen worden ist.

 

Verfahrensgang

LG Osnabrück (Urteil vom 16.02.2005; Aktenzeichen 9 O 753/04)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 16.2.2005 verkündete Urteil des Einzelrichters der 9. Zivilkammer des LG Osnabrück wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

I. Der Kläger begehrt von der Beklagten aus einem mit dieser geschlossenen Rechtsschutzversicherungsvertrag Begleichung der ihm in einem gegen ihn gerichteten Strafverfahren entstandenen Kosten.

Die Staatsanwaltschaft hatte gegen ihn unter dem 12.4.2002 beim Jugendschöffengericht Anklage wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, begangen im Zustande verminderter Schuldfähigkeit, erhoben. Dem Kläger wurde zur Last gelegt, er habe am 2.2.2002 gegen 16.00 Uhr eine siebenjährige Freundin seiner Tochter dazu veranlasst, seinen Penis zu streicheln. Weiter habe er ihr mehrmals einen Finger in die Scheide gesteckt und dem Kind dabei Schmerzen zugefügt. Eine dem Kläger rund zwei Stunden nach der Tat entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 2,69 g/o/oo. In der Hauptverhandlung vom 14.8.2002 beschloss das Gericht die Einholung eines Gutachtens zur Schuldfähigkeit des Klägers. Der Sachverständige kam in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, dass nicht auszuschließen sei, dass sich der Kläger zur Tatzeit in einem Vollrausch befunden habe, durch den seine Steuerungsfähigkeit völlig aufgehoben gewesen sei. Das Gericht erteilte daraufhin in der Hauptverhandlung am 26.2.2003 den Hinweis, dass auch eine Verurteilung wegen Vollrausches nach § 323a StGB in Betracht komme. Am selben Tage wurde der Kläger wegen fahrlässigen Vollrausches zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten auf Bewährung verurteilt. Zwar habe der Kläger den objektiven Tatbestand des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes nach § 176 Abs. 1 Nr. 1 StGB in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung nach § 223 StGB verwirklicht. Hierfür könne er aber wegen des nicht auszuschließenden Vollrausches nicht bestraft werden. Der Kläger habe sich jedoch zumindest fahrlässig durch alkoholische Getränke in einen Rausch versetzt, so dass er sich wegen fahrlässigen Vollrausches nach § 323a StGB strafbar gemacht habe.

Am 30.4.2003 wandte sich der Prozessvertreter des Klägers an die Beklagte, beantragte die Erteilung einer Deckungszusage und überreichte seine Kostennote. Die Beklagte vertrat mit Schreiben vom 23.5.2003 die Auffassung, die Verteidigung wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs unterfalle grundsätzlich nicht dem Versicherungsschutz. Da der Kläger wegen fahrlässigen Vollrausches verurteilt worden sei, bleibe eine Eintrittspflicht allein wegen des Vorwurfes der Körperverletzung, worauf maximal 1/3 der entstandenen Kosten entfallen dürften. Dementsprechend überwies die Beklagte 614,30 EUR Verteidigerhonorar. Nach Remonstration durch den Kläger zahlte die Beklagte weitere 167,08 EUR. Mit Schreiben vom 2.7.2003 vertrat sie nunmehr die Ansicht dass lediglich für den zweiten Verfahrensabschnitt - ab Hinweis in der Hauptverhandlung am 26.2.2003, dass auch eine Verurteilung wegen Vollrausches in Betracht komme - Versicherungsschutz bestehe, insoweit allerdings voll.

Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte sei zur Erbringung von Versicherungsschutz gem. § 2i) bb) ARB 94 verpflichtet, weil er lediglich wegen fahrlässigen Vollrausches verurteilt worden sei. Darauf, dass er zunächst wegen eines Verbrechens angeklagt worden sei, für das kein Straf-Rechtsschutz gewährt werde, komme es nicht an, weil der Tatvorwurf im Laufe des Verfahrens ausgewechselt worden sei. Allein maßgebend sei der Umfang der Verurteilung, nicht hingegen, welcher Vorwurf in der Anklageschrift erhoben worden sei. Letzteres komme schon aus rechtsstaatlichen Gründen nicht in Betracht.

Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen,

1. an ihn 1.900 EUR zu zahlen, sowie

2. ihn von den noch offenen Forderungen der Staatsanwaltschaft i.H.v. 3.466,19 EUR und der Rechtsanwälte K. pp. i.H.v. 303,22 EUR freizustellen.

Die Beklagte hat beantra...

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