Verfahrensgang

LG Oldenburg (Aktenzeichen 17 O 2564/18)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 20. Januar 2021 verkündete Urteil des Landgerichts Oldenburg unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen unter Ziffer 1) abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld i.H.v. 30.000,00 EUR zu zahlen nebst Zinsen hierauf i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13. Oktober 2017.

Im Übrigen wird der Klageantragt zu 1.) als unzulässig abgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

I. Von der Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) wird gemäß §§ 313a Abs. 1 Satz 1, 540 Abs. 2 ZPO abgesehen.

II. Die zulässige Berufung hat in der Sache bis auf einen Teil des Schmerzensgeldausspruchs keinen Erfolg.

1. Soweit der Kläger beantragt, für die ihm bis zur Klageerhebung eingetretenen immateriellen Beeinträchtigungen ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, ist der Antrag unzulässig. Ein Teilschmerzensgeld für einen bestimmten Zeitraum kann wegen der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldanspruchs grundsätzlich nicht zugesprochen werden (OLG Hamm, Urt. v. 11.02.2000, 9 U 204/99, Rn. 17; OLG Düsseldorf, Urt. v. 03.07.1995, 1 U 134/94- juris; OLG Frankfurt, Beschl. v. 14.4.2020, 15 W 18/30, SVR 2021, 65; Zwickel in: Greger/Zwickel, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 6. Aufl., Schmerzensgeld Rn. 33.45).

Der Grundsatz der Einheitlichkeit des Schmerzensgelds gebietet, die Höhe des dem Geschädigten zustehenden Schmerzensgelds auf Grund einer ganzheitlichen Betrachtung der den Schadensfall prägenden Umstände unter Einbeziehung der absehbaren künftigen Entwicklung des Schadensbilds zu bemessen (vgl. BGHZ (GS) 18, 149 = NJW 1955, 1675; Senat, VersR 1961, 164 [165], u. NJW 2001, 3414 = VersR 2001, 876; BGH NJW 2004, 1243).

Etwas anders folgt nicht aus der Entscheidung des BGH vom 20. Januar 2004 (Geschäftszeichen: VI ZR 70/03, NJW 2004, 1243 Rn. 18), nach der eine Schmerzensgeldforderung als Geldforderung grundsätzlich teilbar ist. Denn die rechtliche Teilbarkeit ist nach der Entscheidung nur gegeben, wenn der Anspruch quantitativ abgrenzbar und eindeutig individualisierbar ist, ohne dass die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen besteht, was hier nicht der Fall ist. Die Schadensentwicklung war zum Zeitpunkt der Klageerhebung am 18. Oktober 2018 nicht abgeschlossen, insbesondere war noch offen, ob und welche Dauerschäden eintreten werden, so dass bei dem zeitlich beschränkten Schmerzensgeld eine dem Grundsatz der Einheitlichkeit des Schmerzensgelds zuwiderlaufende Doppelberücksichtigung einzelner Beeinträchtigungen zu besorgen wäre.

Entsprechend ist die Bedingung für den hilfsweisen gestellten Schmerzensgeldantrag eingetreten, der nach §§ 533 Nr. 1, 2. Alt. ZPO zulässig ist.

2. In der Sache stehen dem Kläger die erstinstanzlich zuerkannten Ansprüche auf Zahlung eines Schmerzensgeldes und des geltend gemachten materiellen Schadensersatzes nach §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1, 2 StVG, 115 Abs. 1 S. Nr. 1 VVG zu. Das Landgericht hat zu Recht eine 100%ige Haftung der Beklagten angenommen.

Der Umfang der Haftung richtet sich nach § 17 Abs. 2 StVG. Bei der Abwägung der Verursachungsbeiträge finden solche Umstände Berücksichtigung, die unstreitig oder zur Überzeugung des Gerichts bewiesen und zudem für den Schadenseintritt ursächlich sind (vgl. Engel in MüKo StVR, 1. Auflage, 2017, § 17 StVG, Rn. 13). Hierbei hat der Halter die Umstände zu beweisen, die die konkrete Betriebsgefahr des anderen Fahrzeuges erhöhen, insbesondere also dem anderen zum Verschulden gereichen (vgl. BGH NJW 1996, 1405).

Bei Zusammenstößen zwischen einem links in eine Grundstückseinfahrt abbiegenden Kraftfahrzeug und einem in gleicher Richtung fahrenden, den Linksabbieger überholenden Pkw spricht der Beweis des ersten Anscheins wegen der dem Linksabbieger abverlangten äußersten Sorgfalt für ein Verschulden des Linksabbiegers (KG, Beschluss vom 10.9.2009 - 12 U 216/08 - NZV 2010, 470; KG, Urteil vom 15.8.2005 - 12 U 41/05 - NZV 2006, 309; KG, Urteil vom 6.12.2004 - 12 U 21/04 - NZV 2005, 413; OLG Jena, Urteil vom 28.10.2016 - 7 U 152/16, BeckRS 2016, 19309). Denn dieser kann den Unfall im Allgemeinen vermeiden, wenn er den ihm nach dem Verkehrsrecht obliegenden Pflichten genügt. Wer abbiegen will, muss dies nach § 9 Abs. 1 StVO rechtzeitig und deutlich ankündigen; wer nach links abbiegen will, muss sich zudem rechtzeitig möglichst weit links einordnen. Vor dem Einordnen und nochmals vor dem Abbiegen ist auf den nachfolgenden Verkehr zu achten. Nach § 9 Abs. 5 StVO muss sich der Fahrzeugführer beim Abbiegen in ein Grundstück darüber hinaus so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. An die Sorgfaltspflicht ist in diesem Fall ein besonders hoher Maßstab anzulegen, da der nachfolgende Verkehr nicht mit...

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