Leitsatz (amtlich)
Zu der Frage, ob bei der Feststellung des analytischen Grenzwert von 1,0 ng/ml Tetrahydrocannabinol (THC) während der Fahrt auf eine Sorgfaltspflichtverletzung und den subjektiven Sorgfaltsverstoß bezüglich des Fahrens unter Einwirkung berauschender Mittel zu schließen ist, solange nicht reale Anhaltspunkte vorliegen, die diesen Rückschluss entkräften und das Tatgericht veranlassen müssen, sich mit der Möglichkeit eines abweichenden Tatverlaufs auseinanderzusetzen.
Normenkette
StVG § 24a Abs. 2 S. 2
Tenor
Die Sache wird gemäß § 121 Abs. 2 GVG - analog - dem Bundesgerichtshof zur Beantwortung folgender Frage vorgelegt:
Ist auf eine Sorgfaltspflichtverletzung und den subjektiven Sorgfaltsverstoß bezüglich des Fahrens unter Einwirkung berauschender Mittel zu schließen, wenn der analytische Grenzwert von 1,0 ng/ml Tetrahydrocannabinol (THC) bei der Fahrt erreicht ist, solange nicht reale Anhaltspunkte vorliegen, die den Rückschluss vom Überschreiten des analytischen Grenzwertes auf eine Sorgfaltspflichtverletzung und den subjektiven Sorgfaltsverstoß entkräften, und das Tatgericht veranlassen müssen, sich mit der Möglichkeit eines abweichenden Tatverlaufs auseinanderzusetzen?
Gründe
I.
Das Amtsgericht Lingen (Ems) hat den Betroffenen wegen fahrlässigen Fahrens unter Einwirkung berauschender Mittel zu einer Geldbuße von 500,00 Euro verurteilt und ein einmonatiges Fahrverbot verhängt.
Nach den durch das Amtsgericht Lingen getroffenen Feststellungen befuhr der Betroffene, für den das Verkehrszentralregister eine verwertbare Eintragung aufweist, am 20.02.2014 um 15.35 Uhr mit einem PKW, amtl. Kennzeichen ..., in Lingen den ... In seinem Blut befand sich eine Menge von 1,5 ng/ml Tetrahydrocannabinol (THC). Nach der in dem Urteil vertretenen Rechtsansicht stünde wegen des gemessenen Wirkstoffgehalts fest, dass der Betroffene sich bei Fahrtantritt nicht über die Wirkungsdauer des Rauschmittels erkundigte, woran der Fahrlässigkeitsvorwurf anknüpfe. Gegen diesen Rückschluss sprechende Anhaltspunkte wie die mangelnde Fähigkeit zur Einholung von Erkundungen bestünden angesichts des Schweigens des Betroffenen nicht.
Gegen das Urteil vom 27.03.2015 legte der Verteidiger mit Schriftsatz vom 27.03.2015 Rechtsbeschwerde ein, die am 30.03.2015 beim Amtsgericht einging. Das Urteil wurde dem Betroffenen am 30.04.2015 zugestellt. In seiner durch den Verteidiger am 29.05.2015 eingereichten Rechtsbeschwerdebegründung erhebt der Betroffene die Sachrüge und wendet sich gegen das Urteil insgesamt. Das Amtsgericht habe den Grundsatz verletzt, dass der Betroffene nicht gegen sich selbst aussagen müsse. Ferner habe es zu geringe Anforderungen an die Annahme des Fahrlässigkeitsvorwurfes gestellt.
Die Generalstaatsanwaltschaft Oldenburg hat die Akten auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gemäß § 347 Abs. 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG dem Senat zur Entscheidung vorgelegt und in ihrer Stellungnahme beantragt, die Rechtsbeschwerde als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.
Der Einzelrichter des Bußgeldsenats hat die Sache gem. § 80 a Abs.2 S.1 OWiG zur Fortbildung des Rechts auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.
II.
Der Senat beabsichtigt, die Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Lingen (Ems) zurückzuweisen.
Nach Ansicht des Senats enthält dieses Urteil ausreichende Feststellungen zu der dem Betroffenen angelasteten Ordnungswidrigkeit des fahrlässigen Fahrens unter Einwirkung berauschender Mittel.
Rechtsfehlerfrei stellte das Amtsgericht auf Grundlage des Gutachtens der Medizinischen Hochschule Hannover fest, dass der Betroffene am 20.02.2014 um 15.35 Uhr ein Kraftfahrzeug geführt hat, obwohl er unter der Wirkung von Cannabis stand. Auf ihn wirkten zur Tatzeit 1,5 ng/ml Tetrahydrocannabinol. Dieser Wirkstoff der Cannabispflanze steht auf der Liste der berauschenden Mittel und Substanzen (Anlage zu § 24a Abs. 2 Satz 2 StVG). Der festgestellte Wert liegt auch über dem im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (NJW 2005, 349) von der "Grenzwertkommission" (vgl. Blutalkohol 2007, 311) entwickelten sog. analytischen Grenzwert von 1,0 ng/ml und belegt sicher, dass der Betroffene tatsächlich unter der Einwirkung von Cannabis stand (vgl. OLG Saarbrücken NJW 2007, 309). Irrelevant ist das tatsächliche Eintreten eines wahrnehmungs- oder verhaltensbeeinflussenden bzw. eines die Fahrtüchtigkeit mindernden Effekts (OLG Bremen NZV 2006, 276). Auf den Zeitpunkt der Rauschmittelaufnahme kommt es insoweit ebenfalls nicht an (vgl. König, NStZ 2009, 425). Genauso wenig ist ein Toleranzabzug für Messungenauigkeiten erforderlich, was sich aus dem Wesen des analytischen Grenzwerts ergibt (vgl. OLG Karlsruhe 2007, 249; Eisenmenger, NZV 2006, 24). Die Feststellungen füllen mithin den objektiven Tatbestand des § 24 a Abs.2 OWiG aus.
Über den objektiven Tatbestand hinaus bedarf es einer zumindest unbewusst fahrlässigen Tatbegehung des Betroffenen (§ 24 a Abs.3 StVG). Auch hinsichtlich der dami...