Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachlasspflegerbestellung bei Zweifeln an der Geschäftsfähigkeit des gesetzlichen Vertreters eines minderjährigen Erben
Leitsatz (amtlich)
1. Voraussetzungen für eine von Amts wegen anzuordnende Nachlasspflegschaft sind ein Fürsorgebedürfnis, ein Sicherungsanlass sowie die Unbekanntheit der Erben oder die Ungewissheit über die Annahme der Erbschaft.
2. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist vom Nachlassgericht nach pflichtgemäßem Ermessen auf der Grundlage der dem Gericht bekannten Tatsachen zum Zeitpunkt der Entscheidung aus dessen Sicht zu beurteilen; in der Beschwerdeinstanz ist auch die Ermessensentscheidung uneingeschränkt zu überprüfen.
3. Ungewiss ist die Erbschaftsannahme, wenn der vorläufige Erbe zwar feststeht, aber nicht sicher ist, ob ihm die Erbschaft endgültig zugefallen ist.
4. Als Fürsorgemaßnahme kann die Anordnung einer Nachlasspflegschaft nach dem Zweck der Vorschrift nicht von der vorherigen Durchführung umfangreicher und zeitraubender Ermittlungen abhängig gemacht werden.
Verfahrensgang
AG Rostock (Aktenzeichen 95 VI 1990/18) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 1) wird der Beschluss des Amtsgerichts Rostock - Nachlassgericht - vom 25.07.2019 aufgehoben und das Amtsgericht angewiesen, betreffend den Nachlass nach H.-J. R. eine Nachlasspflegschaft anzuordnen und einen Nachlasspfleger zu bestellen.
Gründe
I. Der Erblasser verstarb zwischen dem 25.01.2018 und 30.01.2018 in Rostock. Die Beteiligte zu 1) ist seine leibliche Tochter. Die Beteiligte zu 2) ist deren Mutter.
Der Erblasser setzte die Beteiligte zu 1) mit Testament vom 18.02.2015 zu seiner Alleinerbin ein. Gleichzeitig ordnete er eine Testamentsvollstreckung bis zum 28. Lebensjahr der Beteiligten zu 1) an. Mit weiterem Testament vom 04.07.2016 änderte er die Bestimmung zur Testamentsvollstreckung dahin ab, dass Testamentsvollstreckerin nunmehr die Beteiligte zu 3) sein sollte. Diese nahm das Amt am 18.04.2018. Mit Schriftsatz vom 26.08.2019, der weit vor Erlass der Nichtabhilfeentscheidung eingegangen ist, erklärte die Beteiligte zu 3), die Testamentsvollstreckung aufzukündigen.
Am 04.04.2018, bei Gericht am 06.04.2018 eingegangen, erklärte die Beteiligte zu 2) als gesetzliche Vertreterin der minderjährigen Beteiligten zu 1) gegenüber dem Nachlassgericht, dass die Erbschaft angenommen werde.
Die Beteiligte zu 3) erteilte gegenüber dem anwaltlichen Vertreter im April 2018 Auskunft über den Bestand des Nachlasses. Auskunft wurde jedoch nicht über den Verbleib eines Hauses in B. und einer Eigentumswohnung in R. erteilt. Erst am 07.05.2018 wurde dem Rechtsanwalt mitgeteilt, dass das Haus verkauft sei. Auskünfte über den Verbleib der Erlöse aus dem Verkauf des Hauses und der Eigentumswohnung sind bis heute nicht oder nicht vollständig erteilt.
Am 13.06.2018 erklärte die Beteiligte zu 2), als gesetzliche Vertreterin der Beteiligten zu 1), zu Protokoll des Amtsgerichts B.-M. die Anfechtung der Annahme der Erbschaft wegen Irrtums über die Eigenschaft des Nachlasses. Unter dem 18.06.2018 beantragte sie beim Amtsgericht P.-W. die familiengerichtliche Genehmigung der Anfechtungserklärung. Das Amtsgericht P.-W. genehmigte unter dem 06.09.2018 die von der Beteiligten zu 2) für die Beteiligte zu 1) am 13.06.2018 zur Niederschrift des Amtsgerichts B.-M. - 62 VI 354/18 - erklärte Anfechtung der Annahme der Erbschaft familiengerichtlich. Eine mit Rechtskraftvermerk vom 27.09.2018 versehene Teilausfertigung dieses Beschlusses ging der Beteiligten zu 2) am 29.09.2018 zu. Diese erklärte mit Schreiben vom 09.10.2018 gegenüber dem Nachlassgericht, hiervon Gebrauch zu machen. Dieses ging beim Nachlassgericht am 11.10.2018 ein.
Die Beteiligte zu 1) wurde zu dieser Zeit sowohl im Nachlassverfahren als auch im Genehmigungsverfahren vor dem Familiengericht anwaltlich vertreten. Dem Verfahrensbevollmächtigten ging eine entsprechende Teilausfertigung nach seinen Angaben erst am 08.10.2018 zu. Vor dem Amtsgericht P.-W. hatte er darum ersucht, eine entsprechende Ausfertigung unmittelbar dem Nachlassgericht zu übermitteln. Dem kam das Amtsgericht P.-W. auch nach.
Während des Laufes des Nachlassverfahrens bekundete die Beteiligte zu 2) wiederholt, mit der Wahrnehmung der Interessen der Beteiligten zu 1) insbesondere aufgrund der damit verbundenen Konfrontation mit ihrer Beziehung zum Erblasser und nicht näher erläuterten Missbrauchsvorwürfen überfordert zu sein. Sie legte hierzu ein Attest vom 05.02.2019 eines Neurologen vor, in welchem ihr u.a. bescheinigt wurde, zeitweise Termine und Fristen nicht ordnungsgemäß wahrnehmen zu können.
Auf Ersuchen der Beteiligten zu 2) an das Amtsgericht P.-W. wurde ihr die Vermögenssorge betreffend die Regelung der Nachlassangelegenheit H.-J. R. entzogen und Frau Rechtsanwältin N. zur Ergänzungspflegerin bestellt. Diese erhielt eine Bestallungsurkunde vom 30.01.2019.
Die Ergänzungspflegerin erklärte unter dem 04.03.2019 erneut die Anfechtung der Erbschaftsannahme. Zur Begründung führte sie aus, ...