Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an den Rechtsanwalt bei Fertigung und Kontrolle einer Rechtsmittelschrift
Leitsatz (redaktionell)
Überträgt der Rechtsanwalt Fertigung und Kontrolle der Rechtsmittelschrift seinem Bürovorsteher, der früher selbst Rechtsanwalt und bei einem OLG zugelassen war, muss der Unterzeichnung durch den Prozessbevollmächtigten stets eine eigene anwaltliche Überprüfung auf Vollständigkeit und richtige Adressierung vorausgehen.
Der Prozessbevollmächtigte trägt die persönliche Verantwortung dafür, dass eine Rechtsmittelschrift bei dem richtigen Gericht eingeht (BGH v. 10.1.1990 - XII ZB 141/89 = NJW 1990, 990).
Normenkette
ZPO §§ 517, 519 Abs. 1, § 522 Abs. 1
Verfahrensgang
AG Pasewalk (Urteil vom 04.04.2006; Aktenzeichen 5 F 78/05) |
Tenor
Der Antrag des Beklagten auf Gewährung der Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist wird zurückgewiesen.
Die Berufung des Beklagten gegen das am 4.4.2006 verkündete Urteil des AG Pasewalk - FamG -, Az.: 5 F 78/05, wird verworfen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens nach einem Wert von 3.731 EUR.
Gründe
A. Durch Urteil vom 4.4.2006 hat das AG den Beklagten in Abänderung des vor diesem Gericht geschlossenen Vergleichs vom 15.5.1998 - 25 F 137/97, verurteilt, an die Klägerin ab April 2005 einen monatlich im Voraus jeweils zum 03. des Kalendermonates fälligen Unterhaltsbetrag i.H.v. 124 % des jeweiligen Regelbetrages (Ost) der 3. Altersstufe gem. § 2 Regelbetragsverordnung abzgl. eines anzurechnenden Kindergeldbetrages gem. § 1612b Abs. 5 BGB und einen rückständigen Kindesunterhalt von 510,80 EUR nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit, dem 8.7.2005, zu zahlen. Den weitergehenden Klagantrag und die Widerklage des Beklagten hat das AG abgewiesen.
Das Urteil des AG ist dem Beklagten am 19.4.2006 zugestellt worden.
Eingegangen bei dem OLG per FAX am 6.6.2006 und im Original am 8.6.2006, hat der Beklagte gegen das Urteil des AG Berufung eingelegt und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der versäumten Berufungsfrist beantragt.
Zur Begründung seines Wiedereinsetzungsgesuchs trägt der Beklagte vor, an der Versäumung der am 19.5.2006 ablaufenden Berufungsfrist treffe ihn kein Verschulden. Auch ein zurechenbares Verschulden seines Prozessbevollmächtigten liege nicht vor. Er habe diesem rechtzeitig den Auftrag erteilt, gegen das Urteil des AG fristgerecht Berufung einzulegen. Die Übernahme des Auftrages sei ihm bestätigt worden. Sein Prozessbevollmächtigter habe sich bei der Bearbeitung des Rechtsstreits durch seinen Bürovorsteher unterstützen lassen. Dieser sei seit Mai 2003 in der Kanzlei tätig. Zuvor sei dieser über 20 Jahre als Rechtsanwalt bei dem OLG Oldenburg bis zum Jahre 2002 zugelassen und aktiv tätig gewesen. Sein Prozessbevollmächtigter habe dem Bürovorsteher den Auftrag erteilt, die Berufungsschrift zu entwerfen und dem Prozessbevollmächtigten zur Unterschrift vorzulegen. Der Bürovorsteher habe die Berufungsschrift diktiert. Das Diktat sei ihm sodann zur Kontrolle vorgelegt worden. Dabei habe der Bürovorsteher übersehen, dass die Adresse in der Berufungsschrift unrichtig angegeben und die Berufung tatsächlich an das LG Neubrandenburg gerichtet gewesen sei. Der Fehler könne nur darauf zurückgeführt werden, dass der Bürovorsteher nur darauf geachtet habe, dass die relevanten Daten aus dem Urteil des AG richtig übertragen worden waren.
Sein Prozessbevollmächtigter habe sich darauf verlassen und angesichts der Vorbildung und der früheren Tätigkeit seines Büroverstehers auch verlassen dürfen, dass die Berufungsschrift insgesamt auf seine Richtigkeit überprüft worden sei, also auch darauf, dass der richtige Adressat in der Berufungsschrift eingesetzt worden sei. Der Fehler sei dadurch aufgefallen, dass sich ein Richter des LG Neubrandenburg am 22.5.2006 telefonisch gemeldet und angeregt habe, die offensichtlich nur versehentlich an das LG Neubrandenburg gerichtete Berufung zurückzunehmen und einen Wiedereinsetzungsantrag zu stellen.
B.1. Die Berufung war gem. § 522 Abs. 1 ZPO zu verwerfen, weil sie nicht rechtzeitig vor Ablauf der Berufungsfrist am 19.5.2006 (§ 517 ZPO), sondern erst am 6.6.2006 eingelegt worden ist.
2. Dem Beklagten war Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist zu versagen, weil die verspätete Berufungseinlegung auf einem Verschulden seines Prozessbevollmächtigten beruht, das sich der Beklagte zurechnen lassen muss (§§ 233, 85 Abs. 2 ZPO).
Um seinen eigentlichen Aufgaben als Organ der Rechtspflege gerecht werden zu können, darf sich der Rechtsanwalt von rein büromäßigen Aufgaben freihalten und diese sorgfältig geschulten und allgemein überwachten Angestellten überlassen (BGH v. 10.4.1986 - VII ZB 19/85, VersR 1986, 891). Jedoch treffen ihn neben der allgemeinen Pflicht zu einer Büroorganisation, die der Gefahr der Versäumung von Fristen wirksam begegnet, im Einzelfall besondere Überwachungspflichten. Solche bestehen bei der Einlegung eine...